Bauarbeiten
Ein letzter Schliff für die Martinskirche

Mehrere Monate nach der Wiedereröffnung werden in der Kirche noch einmal die Werkzeuge ausgepackt. Die Restauratorinnen erzählen, was sie dort tun und welche überraschenden Funde es bereits gab.

In schwindelerregender Höhe bessert Barbara Springmann die fehlerhaften Stellen an der Kanzelhaube aus. Foto: Carsten Riedl

Feierlich und in neuem Glanz präsentierte sich die Martinskirche bei ihrer Wiedereröffnung im September vergangenen Jahres. Beinahe zwei ganze Jahre lang mussten sich neugierige Kirchheimerinnen und Kirchheimer gedulden, um das Ergebnis der umfangreichen Renovationsarbeiten bewundern zu dürfen.

Dass man mit der Sanierung eigentlich nicht ganz fertig geworden war, trübte die Feierlaune nicht – und fiel auch nicht sonderlich auf. Es sei jedoch klar gewesen, dass ab Januar noch einmal nachgearbeitet werden muss, berichtet Pfarrer Jochen Maier.

Je länger man an den Sachen arbeitet, desto mehr entdeckt man. 

Alexandra Gräfin von Schwerin, Restauratorin

Als erstes wurde eine Neujustierung der Leinwand in Angriff genommen. Dazu musste ein Gerüst aufgestellt werden, das bis in den Chorborgen hinaufreichte. Nach der erfolgreichen Korrektur der Leinwand ist das Baugerüst nun Richtung Kanzel gewandert. Hier geht es an die Restaurierung des barocken Kanzeldeckels, der in der Zeit nach dem Stadtbrand 1690 von den Stuttgartern Hans Jakob und Hans Jörg Knöpfle errichtet wurde. Zeitgleich dazu soll auch das Kruzifix über dem Altar wieder auf Vordermann gebracht werden.

Diese zeitintensiven Aufgaben wurden an die beiden Restauratorinnen Barbara Springmann und Alexandra Gräfin von Schwerin übergeben. Für Barbara Springmann ist es ein ganz besonderer Auftrag. Als gebürtige Kirchheimerin bedeutet es ihr viel, einen Beitrag zum Erhalt des historischen Gebäudes leisten zu können. „Hier habe ich früher im Chor gesungen“, erinnert sie sich lächelnd. „Ich verbinde viel mit dieser Kirche. Es ist einfach schön, wieder hier zu sein.“

Für Barbara Springmann und Alexandra von Schwerin ist es der zweite Abschnitt des Projekts „Martinskirche“. Bereits im vergangenen Sommer hatten sie die beiden großen Tafelgemälde an der Rückwand des Chors restauriert.

Es gibt viel zu tun

Für das ungeschulte Auge mögen Kanzelhaube und Kruzifix auf den ersten Blick nicht unbedingt restaurierungsbedürftig erscheinen. Aus der Nähe betrachtet sind die Schäden allerdings deutlich erkennbar: Risse im Holz, abblätternde Farbe und eine dicke Staubschicht, die sich fernab von Kutterschaufel und Kehrwisch über viele Jahrzehnte auf der Oberfläche angesammelt hat. „Ja, das ist wirklich ziemlich dreckig“, stellt Barbara Springmann fest.

Auch an den Figuren, die die Kanzeldecke schmücken, hat sich die Farbe an vielen Stellen gelöst. Foto: Carsten Riedl

Die Restauratorin erklärt, dass die Entfernung der Staubablagerungen nicht nur aus ästhetischen Gründen wichtig ist, sondern auch, weil die Schmutzschicht einen Lebensraum für Mikroorganismen darstellt, die wiederum Schimmelbildung fördern.

Bei der Reinigung ist jedoch höchste Vorsicht geboten: Um die Farbe nicht aus Versehen abzureiben, verwendet Barbara Springmann einen Staubsauger und einen weichen Pinsel aus Ziegenhaar. Die abblätternden Farbstellen werden wiederum durch ein Klebemittel in mühsamer Fingerspitzenarbeit wieder mit der Holzoberfläche verbunden. Auffälligere Fehlstellen können farblich angepasst oder gekittet werden, neu übermalt oder vergoldet wird aber nichts. „Wir wollen von dem vorhandenen Material so viel konservieren und erhalten, wie möglich“, stellt Barbara Springmann klar.

Eine wilde Konstruktion

Die verschiedengroßen Figuren von Aposteln und Propheten, die gewöhnlich vom Kanzeldeckel aus über die Kirche wachen, haben die Restauratorinnen vorübergehend abmontiert. „Tatsächlich sind die Figuren nur mit Metalldübeln befestigt“, erzählt Barbara Springmann. Die Holzskulpturen lassen sich daher kinderleicht abnehmen und wieder aufsetzen, sodass Petrus, Johannes & Co. ihre Plätze nach dem Abschluss der Arbeiten ohne Weiteres wieder einnehmen können.

Natürlich, so Springmann, sei das aber keine Technik aus dem 17. Jahrhundert. Es sei relativ schnell klar gewesen, dass seit der Errichtung der Kanzel immer wieder daran herumgebastelt worden war. „Diese Konstruktion ist total wild zusammengeschustert“, beschreibt Barbara Springmann lachend und zeigt auf die eingeschnitzten Nummern, die bei genauerem Hinsehen auf den einzelnen Elementen, wie den Fruchtornamenten und den Bögen, entdeckt werden können. „Das wurde mal komplett zerlegt und durchnummeriert, damit man die Teile nach der Demontage wieder an Ort und Stelle bringen kann“, erklärt die Expertin.

Alexandra von Schwerin bringt das Kruzifix wieder in Stand. Foto: Carsten Riedl

Aufgegangen zu sein schien diese Strategie jedoch nicht. Die Nummern, so Springmann, seien total durcheinander. „Eigentlich passt da gar nichts zusammen.“ Alexandra von Schwerin verrät, dass derartige Entdeckungen in der Restaurierung historischer Werke nicht unüblich seien. Bei den beiden Tafelgemälden habe sich etwa herausgestellt, dass diese früher Teil einer einzigen, beidseitig bemalten Tafel gewesen seien, die man kurzerhand in der Mitte gespalten habe. „Es gibt immer wieder Überraschungen“, so von Schwerin. „Je länger man an den Sachen arbeitet, desto mehr entdeckt man.“

An Arbeit haben die beiden jedenfalls noch eine Menge vor sich. Etwa 500 Stunden sind für das gesamte Projekt eingeplant. Wenn alles rund läuft, soll die Restaurierung und damit auch die Sanierung der Martinskirche, Mitte März beendet werden können.