Kirchheim
Ein Lob auf Kirchheims „unterirdisches Stadtarchiv“

Buchpräsentation Regierungsprsädidium und Landesamt für Denkmalpflege stellen den Kirchheimer Band des archäologischen Stadtkatasters Baden-Württemberg im Alten Gemeindehaus offiziell vor. Von Andreas Volz

Der neue archäologische Stadtkataster, der jetzt offiziell vorgestellt wurde, bietet einen Überblick über die Siedlungsgeschichte Kirchheims während der letzten 7 000 Jahre. „Das ist ein reiches Bild vom baulichen Prozess in Kirchheim“, sagte 
 

Leider wurden die Funde nicht aufbewahrt.
Birgit Kulessa
über Gebeine und ein Schwert, die 1811 im Chor der Kirchheimer Martinskirche aufgetaucht waren, als die Gruft für Franziska von Hohenheim ausgehoben wurde

Regierungspräsidentin Susanne Bay zum Auftakt der Buchvorstellung im Alten Gemeindehaus. „Dadurch lässt sich die Geschichte in Zeiten zurückverfolgen, die lange vor den ersten Geschichtsquellen liegen.“ Die archäologischen Funde bezeichnete sie als „unterirdisches Stadtarchiv“, das es zu schützen gelte. Deshalb gebe es jetzt den Kirchheimer Stadtkataster, der Denkmalschutzbehörden ebenso wie Planungs- und Architekturbüros einen Überblick über zu erwartende Fundstellen vermittelt. Letztlich führe das zu mehr Planungssicherheit.

Oberbürgermeister Pascal Bader nannte ein Beispiel aus der Praxis: „Bei der archäologischen Sondierung zum Gewerbegebiet Bohnau-Süd kamen die Überreste einer Keltenschanze zutage.“ Das Faszinierende daran: „Wo auch immer man sich in der Stadt befindet, haben vor Hunderten oder gar Tausenden von Jahren schon Menschen gelebt.“ Dass über die Siedlungsgeschichte Kirchheims so viel bekannt ist, sei wesentlich der Archäologie-AG zu verdanken, „die in bald 40 Jahren an über 250 Fundstellen aktiv war“.

Die Archäologie will nicht blockieren

Für Claus Wolf, den Präsidenten des Landesamts für Denkmalpflege, ist selbst das Alte Gemeindehaus „ein beispielhafter Ort“. 1584 sei es als Fruchtkasten erstellt worden, auf dem Gelände des ehemaligen Dominikanerinnenklosters, das infolge der Reformation nach 1534 aufgelöst worden war: „Die Gebäude, darunter auch die Klosterkirche, wurden als Steinbruch für den Ausbau Kirchheims zur Landesfestung genutzt.“ Vom Kloster seien höchstens die Fundamente erhalten.

Besonderen Wert legte er auf die Feststellung: „Der archäologische Stadtkataster will notwendige städtebauliche Erneuerungen nicht blockieren. Er soll vielmehr die Chancen aufzeigen, um  das historische Erbe zu bewahren.“ Als Problem nannte er die Aktualisierung der jeweiligen Stadtkataster, die ausschließlich digital erfolge. Fortsetzungsbände seien bislang überall Wunschdenken geblieben. Eines Tages werde es deshalb gar keine gedruckten Stadtkataster mehr geben. Sie liegen dann wohl nur noch in digitaler Form vor.

In ihrem Festvortrag ging die Stadtkataster-Autorin Birgit Kulessa auf das früheste schriftliche Zeugnis einer Ausgrabung in Kirchheim ein: Als 1811 die Gruft für Franziska von Hohenheim in der Martinskirche ausgehoben wurde, habe ein Mädchen in einem Brief geschrieben, dass unter anderem Gebeine und ein Schwert gefunden wurden. „Leider wurden die Funde damals nicht aufbewahrt“, bedauerte die Rednerin. Erst über 50 Jahre später habe die archäologische Forschung in Kirchheim begonnen, mit der Entdeckung von Gräbern aus der Merowinger-Zeit im Paradiesle.

So wie diese Funde, liegen auch die Belegstellen für eine prähistorische Besiedlung Kirchheims außerhalb des heutigen Stadtkerns. Die ältesten Fundstellen liegen im Talwald, gefolgt von den neolithischen Funden am Hegelesberg. Siedlungsgeschichtlich lasse sich nahezu kontinuierlich belegen, dass Menschen auf Kirchheimer Markung lebten – mit Ausnahmen im Übergang zur frühen Bronzezeit und sowie in der Römerzeit: „Es gibt römische Funde in Kirchheim, aber eine römische Besiedlung lässt sich daraus bislang nicht zweifelsfrei ableiten.“

Ein mittelalterliches „Gewerbegebiet“ westlich der Lauter

Auch im Hochmittelalter ging die Besiedlung über die späteren Stadtgrenzen hinaus: Westlich der Lauter gab es ein mittelalterliches „Gewerbegebiet“, für das die Textilproduktion ebenso nachgewiesen ist wie die Eisenverarbeitung. Auf den Karten, die zum Kataster gehören, lassen sich solche Entwicklungen an unterschiedlichen Farben ablesen. Befestigungsanlagen sind so markiert, herrschaftliche Einrichtungen, kirchliche Gebäude, Einrichtungen der Sozialfürsorge, Handwerk, Gewerbe, Handel und Gasthäuser, aber auch die Infrastruktur anhand der Marktplätze.

Nicht weniger wichtig ist die Kellerkartierung, die auf die Bebauung vor dem Stadtbrand hinweist: „Die Straßen waren vor dem Stadtbrand deutlich schmäler, weshalb die Keller oft in die heutigen Straßen hineinragen. Beim Wiederaufbau nach dem Brand waren breitere Straßen Vorschrift.“ In diesem Fall bestätigt also der archäologische Befund die Anordnungen, die sich in schriftlichen Quellen finden lassen.