Kirchheim. Landauf, landab werden an den Theatern Romane zu Theaterstücken umgeschrieben. Die Theaterleute genießen die Freiheit, ein Stück nach ihren Vorstellungen
herzustellen. Doch wie soll das bei Goethes „Werther, einem Briefroman, funktionieren, dessen Handlung vor allem aus inneren Vorgängen besteht? Die Gestalten sind auf dem Theater ganz konkret, nicht wie beim Lesen Fantasiegestalten, und sie müssen ihre Gedanken und Gefühle sprachlich oder gestisch zum Ausdruck bringen.
Der Bearbeiter, Regisseur und Bühnenbildner des kleinen Dinkelsbühler Landestheaters Jens Heuwinkel versucht, das Problem zu lösen, indem er Werther (Julian Niedermeier) Erzähler und Spieler sein lässt. Werther erzählt am Anfang in einem Monolog die Gesamtlage: Er ist unsterblich verliebt in Lotte, die aber schon Albert versprochen ist. Diese beiden halten sich zuerst stumm und statisch im Hintergrund auf. Endlich werden sie ins Spiel einbezogen und der Wechsel zwischen Erzählung und dramatischem Spiel setzt ein. So kann es sein, dass Werther Lotte in den Arm nimmt und dabei dem Publikum mitteilt, dass er Lotte in den Arm nimmt. Das nennt man Verfremdung. So weit, so gut.
Allerdings übernimmt der Bearbeiter große Teile von Goethes Text. Dieser Text will auf die Bühne gebracht werden und das ist weitgehend eine Aufgabe vom Darsteller des Werther Julian Niedermeier. Vor allem bei der langen Eingangs- und der Schlusspassage springt und turnt er mangels szenischer Möglichkeiten gestikulierend und erzählend auf der Bühnenrampe wie ein Getriebener hin und her. Dabei ist der Vorrat an Gesten bald aufgebraucht.
Die beiden anderen Figuren, Lotte und Albert, ihr Verlobter, sind immer auf der Bühne. Braucht man sie nicht, so werden sie „eingefroren“ oder irgendwie beschäftigt. Die jungmädchenhafte Lotte (Patricia Foik) aus Dinkelsbühl ist, wie sie auf der Schaukel sitzt, mehr Fontanes Effi Briest als Goethes gereifte Frauengestalt. Mit Albert, dessen Darsteller etwas der professionelle Zuschnitt fehlt, bildet Lotte meist den ruhigen Pol im Hintergrund. Sie spielen immer wieder auf dem Flügel die Melodie von Matthias Claudius‘ „Abendlied“ an. Dieses beruhigende Element hat Werther auch nötig. Er ist zwar wie Goethes Werther blau-gelb gekleidet und hat dazu ein schwarzes Schattenbild von Goethes Kopf auf dem gelben T-Shirt, doch Goethe-Werthers melancholische oder depressive Stimmungen liegen ihm fern. Er ist fast durchweg laut und hyperaktiv. Nun ja, man kann das als Aktualisierung dieser Gestalt auffassen.
Nach der Pause darf Werther sich etwas ausruhen. Lotte und Albert lesen seine Briefe vor. Danach gelingen einige packende Szenen, in denen Werther seine Emotionen ohne Verfremdung ausspielen darf. Schließlich begründet Werther in einer langen Rede, warum er nach der Heirat Lottes keinen Sinn mehr im Leben sieht und erschießt sich.
Ein insgesamt doch anregender Theaterabend endete mit einem besonderen Beifall für die schweißtreibende Arbeit, die der Darsteller des Werther geleistet hat. Der Abend litt allerdings unter den viel beklagten technischen Möglichkeiten der Stadthalle. Immer wieder fanden wichtige Szenen, statt ausgeleuchtet zu werden, im Halbdunkel statt.