Kirchheim
Einander wieder besser zuhören

Politik Für die rund 70 Gäste beim 31. Neujahrsempfang der SPD Kirchheim ging es vor allem um das liebe Geld, das der Stadt Kirchheim fehlt. Neben den Reden gab es viel Zeit zum persönlichen Austausch. Von Peter Dietrich

Die Rottöne von SPD und Feuerwehr harmonierten beim 31. Neujahrsempfang der SPD Kirchheim, der sanierte Saal in der Feuerwache stand bestens da. Dass das nicht für alle städtischen Gebäude gilt, führte Marc Eisenmann, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kirchheimer Gemeinderat, in seiner Begrüßungsrede aus. Bei den städtischen Immobilien sei ein Investitionsstau von mehr als 250 Millionen Euro aufgelaufen. Würde die Stadt nur noch den nötigen bezahlbaren Wohnraum schaffen, hätte sie viele Jahre lang kein Geld mehr für andere Aufgaben. Sie könnte alternativ auch die Schulen und Kitas voranstellen, doch dann gäbe es wiederum kein Geld mehr für Wohnungen und anderes. Die nötigen kommunalen Investitionen, so Eisenmann, werden sich in den kommenden Jahren nicht einmal im Ansatz bewältigen lassen. Sein folgender Vorschlag war nicht ernst gemeint, machte aber die Lage deutlich: „Wir lassen die Wahlen 2024 aus, bleiben fünf Jahre daheim und treten 2029 wieder an. Mit etwas Glück hat die Stadt bis dahin die heute beschlossenen Maßnahmen abgearbeitet.“

Integration kaum möglich

Der zusätzliche Bedarf zur Unterbringung geflüchteter Menschen sei in dieser Rechnung noch gar nicht drin, sagte Eisenmann. Nicht nur Kirchheim sei bei der Aufnahme, Versorgung und Unterbringung an der Leistungsgrenze. Unter solchen Bedingungen sei eine gelingende Integration kaum mehr möglich. Was den Gemeinderat jüngst so alles beschäftigt hat, hatte Eisenmann in einer Wortwolke auf der Leinwand versammelt, von Jurten, Fußgängerzone und Starkregen bis Bohnau Süd. Wenn das Geld nicht für alles reicht, müsse die Politik vermitteln. „Wir müssen uns wieder besser zuhören und Kompromisse wieder als das begreifen, was sie sind: Keine Schwäche, sondern der Kern demokratischen Handelns.“

Beim 31. Neujahrsempfang der SPD Kirchheim war die finanzielle Situation der Stadt ein Thema. Fotos: Peter Dietrich

Ausdrücklich dankte Eisenmann allen Kirchheimer Vereinen. Deren Arbeit sei freiwillig, ihre finanzielle Unterstützung durch die Stadt jedoch nicht – denn ohne sie gäbe es keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Mit einem historischen Foto aus dem Kirchheimer Hallenbad ermutigte Marc Eisenmann alle dazu, „ins kalte Wasser zu springen“ und bei den nächsten Kommunalwahlen zu kandidieren. Für Gelächter sorgte sein treffendes Zitat von Albert Einstein: „Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“

Handwerklich besser werden

Nicolas Fink, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, verriet, was in ihm die Lust auf Politik geweckt hat: Es war seine Zeit als Ortsvorsteher in Nabern, von 2002 bis 2006, und die damals großartige Unterstützung durch die Stadtverwaltung. In Nabern möge es damals auch den einen oder anderen „schrägen Vogel“ gegeben haben, den man aber vor Ort gekannt habe. „Jetzt vernetzt er sich im Netz mit Tausend anderen schrägen Vögeln.“ Heute bekäme jeder blitzschnell mit, was am anderen Ende der Welt passiere. Doch es werde zugleich immer schwieriger, das jeweilige Geschehen sinnvoll einzuordnen.

Marc Eisenmann. Foto: Peter Dietrich

Er persönlich halte TikTok für furchtbar und Facebook für Zeitverschwendung, sagte Fink. „Trotzdem müssen wir da rein.“ Und zwar, ohne sich als Politiker zu verbiegen. Fink plädierte für Ehrlichkeit, auch Politiker haben ein Privatleben: Wenn er eine Einladung erhalte, die er wegen des parallelen VfB-Spiels nicht annehmen will, gebe er das offen zu. Sehr verhalten räumte Fink politische Fehler ein: „Wir müssen handwerklich besser werden.“ Er erinnerte aber auch an die menschliche Eigenschaft, vor allem auf das zu schauen, was nicht funktioniert – und Funktionierendes als selbstverständlich zu betrachten oder als eigene Leistung zu sehen. „Wir müssen dankbarer werden.“ Als politisches Engagement reiche es nicht, sich zwei Stunden auf den Marktplatz zu stellen. „Nazis raus ruft es sich leicht, wenn keine Nazis da sind.“ Ein menschlicher Umgang miteinander sei ständig gefragt. Er empfahl jedem, sich einmal als Zuhörer in eine öffentliche Gemeinderatssitzung zu setzen – und sich womöglich selbst als Kandidat aufstellen zu lassen.

Gibt es bei allen Krisen auch positive Entwicklungen? Bei jungen Leuten, die den Landtag besuchen, meint Fink wieder eine Zunahme an höflichen Umgangsformen zu erkennen. Und: „Die Jugendlichen sind politischer geworden.“ Außerdem mache ihm der VfB Stuttgart Hoffnung: „Er zeigt, es kann schnell besser werden.“