Archiv und Animation sind die beiden Begriffe, zwischen denen sich Carolin Jörgs Ausstellung „Speicher“ in der Städtischen Galerie im Kornhaus bewegt. An der großen Wand hat die Künstlerin analog zu einer assoziativen Erinnerungsarbeit Zeichnungen unterschiedlicher Größe angeordnet, mal mit Rahmung, mal direkt an die Wand. Diese Zusammenstellung bildet eine persönliche Bestandsaufnahme ihrer Produktion der letzten Jahre und entspricht als archivarische Präsentationsform dem Kornhaus als Speicher.
Mit dem Titel „Der zweite Blick“ hat die Künstlerin in einem mit Stellwänden abgeteilten Bereich im Galerieraum einen zweiten Ausstellungsteil konzipiert, der die digitale Ergänzung zum Speicherarchiv darstellt. Dort hat der Besucher die Gelegenheit, mithilfe von Tablets oder dem eigenen Smartphone über einen gescannten QR-Code sein eigenes interaktives Ausstellungserlebnis zu gestalten.
Hält er sein Gerät vor die gerahmten Handzeichnungen an der Wand, geraten die Zeichnungen auf dem Bildschirm in Bewegung und werden durch Audiofiles und surreale Texte ergänzt. Dieses Medienprojekt wurde von der Künstlerin in Zusammenarbeit mit Michael Fragstein vom Büro Achter April entwickelt. Ähnlich wie die Fotografie zur traditionellen Kunst im 19. Jahrhundert, so scheint heute die Digitaltechnik mit der scheinbaren Objektivität der Algorithmen den Gegenpol zur Handzeichnung zu markieren. Aber wie die Fotografie letztendlich von den Künsten vereinnahmt wurde, geht auch die Digitaltechnik in der zeitgenössischen Kunst auf. Vereinnahmung kann auch Relativierung und Auflösung bedeuten. Die subjektiv geprägte Denk- und Arbeitsweise von Künstlern bildet das eigentliche Wesensmerkmal eines Kulturbereichs, der damit überdauert und unverzichtbarer bleibt als jede technische Neuerung.