Einen George Clooney in Weiß wie im TV-Exportschlager aus den USA haben sie hier nicht zu bieten. Dafür sollen die jährlich mehr als 31.000 Notfall-Patienten im „Emergency Room“ auf dem Nürtinger Säer Hilfe für jeden Schmerz finden – passgenau und schnell. Mit Inbetriebnahme der neuen Notaufnahme im Februar wurden in der Nürtinger Medius-Klinik auch die Öffnungszeiten der von den Maltesern betriebenen Bereitschaftspraxis an Wochenenden und Feiertagen ausgedehnt. Eine Reaktion auf die Schließung der Kirchheimer Praxis im Rahmen eines landesweiten Streichkonzerts, das der Kassenärztlichen Vereinigung seit der Ankündigung im Herbst viel Kritik und öffentlichen Protest einbrachte.
Damit setzen wir heute schon um, was mit der Notfallreform angestrebt wird.
Dr. Jörg Sagasser, medizinischer Geschäftsführer der Medius-Kliniken
In Nürtingen hat man daraus nun eine Tugend gemacht: Seit Anfang Mai ergänzen Allgemeinmediziner des Kirchheimer „Hausärztehaus“ das Angebot, das seitdem auf drei Säulen ruht: Notfallmedizin, Bereitschaftsdienst und hausärztliche Versorgung an einem Ort vereint. Der Anmeldetresen in der Zentralen Notaufnahme wird damit für Patienten zum Weichen-Stellwerk. Hier wird entschieden: Wer braucht schnellstens ärztliche Hilfe? Wer kommt für eine stationäre Aufnahme infrage? Wer ist ein Bagatellfall? Für minderschwere Fälle gibt es außerhalb der Hausarzt-Zeiten eine sogenannte „Fast-Lane“ – eine Schnellspur. Stundenlanges Warten für Patienten, die aufgrund ihrer Beschwerden bisher hinten angestellt wurden, soll damit der Vergangenheit angehören.
Ein Weg, von dem alle profitieren könnten: weniger Stress und ein attraktiver Arbeitsplatz für Mediziner, weniger Wartezeiten und maßgeschneiderte Hilfen für Patienten. Für Landrat Marcel Musolf, Aufsichtsratvorsitzender der Medius-Kliniken und den medizinischen Geschäftsführer Jörg Sagasser ist das Modell vor allem eines: in die Zukunft gerichtet. Damit setze man heute schon um, was im Rahmen der bundesweit geplanten Notfallreform angestrebt werde, sagt Sagasser. Für den Landrat ist klar: „Wir müssen Gesundheitsversorgung in Zukunft völlig neu denken.“ Durch das vernetzte Arbeiten werde jeder Quadratmeter der neuen Notaufnahme gleich dreifach genutzt.
Alle Probleme kann allerdings auch ein ressourcenschonendes Konzept wie das in Nürtingen nicht lösen. Nach wie vor gelangen zu viele Menschen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser, die dort nicht hingehören. Die Verfügbarkeit rund um die Uhr ist für viele bequem und verlockend – auch bei harmlosen Beschwerden.
Kampf um neue Hausärzte
Christopher Hahn ist Mitinhaber der Praxisgemeinschaft in der Kirchheimer Max-Eyth-Straße. Hier arbeiten inzwischen 13 Ärztinnen und Ärzte in Voll- und Teilzeit. Jeweils eine Kraft ist im täglichen Wechsel werktags von 9 bis 17 Uhr in Nürtingen abgestellt, um vor allem während der Stoßzeiten am späten Vormittag und nachmittags die Notaufnahme zu entlasten. Das Kirchheimer Hausärztehaus ist in der knapp 4000 Quadratmeter großen Notaufnahme nur Mieter. Die Frage, die sich stellt: Ist Nürtingen auf den zu erwartenden Patientenzuwachs in der Ambulanz vorbereitet? Vor allem: Arbeiten dort jetzt Hausärzte, die in Kirchheim im Gegenzug fehlen? „Nein“, sagt Hahn. Personell verfüge man durchaus über Reserven. Auch Neueinstellungen seien ein Thema. Durch die sektorenübergreifende Tätigkeit in Nürtingen sieht man sich als attraktiver Arbeitgeber überdies gut am Markt positioniert. Der Weiterbildungsverbund, in dem der Landkreis seit vergangenem Jahr Jungmedizinern die Koordination ihrer Praxisausbildung erleichtern möchte und dabei auch Stipendien vergibt, ist – so hofft man – ein zusätzliches Mittel im Kampf gegen den anhaltenden Hausärzteschwund. Der Erfolg solcher Maßnahmen lässt im Moment noch auf sich warten. Oder wie der Kirchheimer Arzt Gordon Hunter sagt: „Hausärztliche Versorgung bleibt Mangelverwaltung.“
24 Stunden,
sieben Tage die Woche
Die Zentrale Notaufnahme der Medius-Klinik in Nürtingen ist rund ums Jahr 24 Stunden besetzt.
Die Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung deckt die Versorgung außerhalb der Sprechzeiten in den Hausarztpraxen ab. Sie ist an Wochenenden, Feiertagen und an drei Brückentagen im Jahr von 9 bis 19 Uhr besetzt. Betrieben wird sie vom Malteser Hilfsdienst.
Die hausärztliche Versorgung dient der Entlastung der Notfall-Ambulanz in minderschweren Fällen und ist darüber hinaus für Patienten ohne festen Hausarzt gedacht. In Nürtingen übernehmen diese Aufgabe Allgemeinmediziner aus dem Kirchheimer Hausärztehaus. bk