Der Schlussbeifall ist zurückhaltend. Verständlich, denn man ist gerade Zeuge eines Sterbens mitten auf der Bühne geworden. Das hätte man lange nicht vermutet. Alles hat zunächst nach einem heiteren Volkstheater in einer schäbigen Wirtshausstube ausgesehen: Zwei Typen sitzen am Tisch, die im Auftrag des Touristenverbandes Gasthäuser kontrollieren.
Die beiden haben sich wohl nicht gesucht und könnten unterschiedlicher kaum sein. Der grantige Bösel prüft schweigend ein Schnitzel nach dem anderen, während ihm der Schwabe Fellner mit seiner Paragrafengläubigkeit und sonstiger Besserwisserei gründlich auf die Nerven geht. Der Dialekt bietet beiden die Gelegenheit, sich unflätiger zu beschimpfen, als dies in der Hochsprache möglich wäre. Immerhin sind sie sich einig darin, ihre Stellung auszunützen und sich von den Wirtsleuten bestechen zu lassen.
Der Alkohol bringt sie dann näher. Sie erzählen sich in ihrer Unterkunft von ihren vielschichtigen privaten Problemen. Dabei entwickeln sich freundschaftliche Gefühle. Doch plötzlich trifft Fellner ein Schicksalsschlag: Er leidet an Hodenkrebs und hat nur noch kurz zu leben. In dieser existenziellen Lage merken die beiden, was sie aneinander haben. Bösel ist der einzige, der sich um Fellner kümmert.
Das Theaterstück der Autoren Josef Hader und Alfred Dorfer ist von Tragikomik geprägt. Im ersten Teil überwiegt die Komik, die sich auch aus der Bissigkeit der am Kabarett geschulten Autoren ergibt. Im zweiten überwiegt die Tragik. Bei der Aufführung in der Kirchheimer Stadthalle kam die Komik nicht ausreichend zur Wirkung, darunter fällt auch eine bewundernswerte Tanzeinlage im Techno-Stil, die Abwechslung bieten sollte zu den sonstigen Sitzarrangements.
Dass die Komik nicht recht zum Tragen kam, lag vor allem daran, dass „Indien“ ein intimes Zimmertheaterstück ist, das denn auch in einem Zimmertheater uraufgeführt und jetzt seit Ende November in Esslingen im kleinen Podium 1 gezeigt wird. In die große Kirchheimer Stadthalle mit ihrer hohen Bühnenrampe verpflanzt, kamt es durch die weite Distanz zum Publikum zu einem rollenbedingten Kommunikationsproblem, vor allem mit dem grantig sprechenden und gleichzeitig schnitzelessenden Bösel. Dass Schauspieler Christian A. Koch eigentlich ein Meister seines Fachs ist, hat er vergangenes Jahr bei seinem Gastspiel mit Patrick Süskinds „Kontrabass“ in eben dieser Stadthalle bewiesen.
Umso beeindruckender wirkte der zweite, der überwiegend tragische Teil, in dem Marcus Michalski in einer großartigen schauspielerischen Leistung das ganze Tableau menschlichen Leidens und Hoffens angesichts des bevorstehenden Todes ausbreitet. Auch der Wiedergeburtsglaube der Hindus wird als rettende Perspektive herangezogen – und wieder verworfen.
Effekte kommen gut an
Wird also das Publikum trostlos entlassen? Nein, die Zuschauerinnen und Zuschauer können sich auf der Darstellungsebene über die reichhaltige Verwendung von Theatermitteln freuen, die den Eindruck erwecken, dass Theater allmächtig ist. Durch Masken, Requisiten, optische und akustische Effekte finden laufend Orts- und Wirtswechsel statt, obwohl immer in einem einzigen Raum gespielt wird und auch nur eine einzige Person den Wirt spielt. Und: Fellner stirbt in den Armen seines ehemaligen besten Feindes Bösel. Das Theater mit seinen fiktiven Möglichkeiten ist in der Lage, solch eine positive Utopie zu vermitteln.