Kirchheim
Eine „Telefonseelsorge“ funktioniert auch ohne Telefon

Kirche Was macht das „Sonnenzimmer“ im Haus Cäcilia so besonders? Dort gibt es Menschen, die anderen zuhören – damit es die Sonne durch die Lebenswolken schafft. Von Peter Dietrich

Wer hat’s erfunden? Die Antwort ist eindeutig: Die Idee zu den „Orten des Zuhörens“ kam von Kardinal Carlo Maria Martini, Bischof in Mailand. Das ist schon 70 Jahre her. Nicht nur Profis sollten das Gesicht der Kirche sein, befand er, sondern auch Männer und Frauen, die sich durch aufmerksames Zuhören auf die großen und kleinen Sorgen ihrer Mitmenschen einlassen.

Aus Tübingen nach Kirchheim gebracht hat die Idee Diakon Thomas Kubetschek, das ist nun zehn Jahre her. Die Anregung stieß bei der Katholischen Gesamtkirchengemeinde Kirchheim und der Caritas Esslingen auf große Zustimmung. Neben Thomas Kubetschek begaben sich fünf Frauen und ein pensionierter Pfarrer in einige intensive Schulungswochenenden der Caritas: Es ging um Sozialgesetze, aktives Zuhören, Gesprächsführung, kulturelle Unterschiede und vieles mehr. Mit dabei waren Doris Wöhrle und Evelyn Rieforth, die bis heute zum Zuhörteam gehören. Mit Diakon Rainer Wagners Ruhestand hat dieses Team einen Mann verloren, Ersatz ist dringend ersehnt.

„Muss man hier beten?“ Mit dieser Frage oder einem „Ich bin aber gar nicht katholisch“, berichtet Ulrike Lüssem, Koordinatorin für Soziale Dienste der Gesamtkirchengemeinde, habe schon mancher das Sonnenzimmer betreten. Die Antworten sind „Nein“ und „Wir auch nicht alle“. Denn das Team ist ökumenisch und das Angebot richtet sich an alle Menschen unabhängig von Religion, Nationalität oder sonst etwas. Das Team erlebt neben solchen Nachfragen auch viel Vertrauen. Es will nichts verkaufen und das Angebot ist kos­tenlos.

 

Ein gesprochenes Wort hat eine andere Wirkung als nur ein Gedanke.
Ulrike Lüssem vom Zuhören-Team

 

Die Sorgen, die Gäste jeden Dienstagabend – nach Voranmeldung, auch anonym – mitbringen, sind so bunt wie das Leben: Sie werden gemobbt, haben Probleme mit Kindern oder dem Partner, fühlen sich im Beruf oder mit der Pflege überfordert, sind einsam oder traurig. „Die Leute kommen oft mit einem vordergründigen Problem“, sagt Evelyn Rieforth. „Wir merken, dass dahinter das Hauptproblem steht.“ Zugehört werde immer im Tandem: „Vier Ohren hören mehr als zwei.“ Beide können sich hinterher über das Gespräch austauschen, nach außen unterliegen sie der Schweigepflicht. Es werden keinerlei Daten erfasst, doch Gäste können das Gespräch später fortsetzen, was manche gerne nutzen. Es gab auch schon den Fall, das zwei Partner – in einem anderen Fall Mutter und Sohn – unabhängig beide zum Gespräch kamen, ohne voneinander zu wissen – das blieb auch so.

Das Angebot sei keine Therapie, betonen alle. Ihren Rat geben sie dort, wo er gefragt wird. Sie sind überzeugt, dass Lösungen schon in den Gästen drinstecken, wollen ihnen helfen, sie zu finden. „Ich rate gerne: Hören Sie auf Ihr Herz“, sagt Doris Wöhrle. Sie hat nach dem Gespräch schon oft den Satz gehört: „Jetzt ist es mir leichter.“ Doch mancher „Fall“ ist für diesen Ort zu groß: „Wir sind sensibel für Menschen, die psychologische Beratung brauchen, wir wissen um unsere Grenzen“, sagt Evelyn Rieforth. Wenn nötig, wird weitervermittelt. Weil der Kreisdiakonieverband in Kirchheim Experten für Sozial- und Schuldnerberatung hat, kann sich der „Ort des Zuhörens“ auf die Seelsorge und das „Herzeleid“ konzentrieren – auch wenn er schon mal schnell und unbürokratisch materiell geholfen hat. Unbürokratisch sind auch die Termine: Standard ist etwa eine Stunde, aber wenn es länger geht, ist das okay, es sitzt niemand im Wartezimmer.

„Ein gesprochenes Wort hat eine andere Wirkung als nur ein Gedanke“, ist Ulrike Lüssem überzeugt, die soeben eine dreijährige Fortbildung in Counseling/Pädagogisch-Therapeutischer Beratung abgeschlossen hat. Manchmal ermuntert sie einen Gast, einen Gedanken aufzuschreiben, sich zu Hause an den Kühlschrank zu kleben, damit er ihn bewahrt und immer vor Augen hat. Manchem hilft auch ein beschrifteter Stein oder ein Mutmachengel, den er oder sie sich nach dem Gespräch aus einem Karton aussuchen darf. Viele, beobachtet das Team, greifen sehr zielstrebig zu: Sie wissen im Herzen, was gut zu ihnen passt.

 

Info Das „Sonnenzimmer“ befindet sich in der Schlierbacher Straße 17 in Kirchheim, ganz in der Nähe der Kirche St. Ulrich. Die Kontaktaufnahme ist unter der Telefonnummer 01 70/4 45 78 62 oder per Mail an OrteDesZuhoerens-GKG.Kirchheim@drs.de möglich.