Kirchheim
Endlich darf wieder getextet werden

Poetry-Slam Der Dichterwettbewerb in der Bastion hat beim jungen Publikum am Freitagabend für jede Menge Begeisterung gesorgt – ohne Bewertung, dafür mit viel Musik. Von Sabine Ackermann

Heute wollen wir feiern, dass es wieder losgeht. Nach zwei Jahren Pause verzichten wir auf den Wettbewerb“, begrüßt Moderator Pierre Jarawan sein Gegenüber und ergänzt: „Um einfach wieder hereinzukommen wird heute nicht abgestimmt, wer der oder die Bes­te ist.“ Er hakt danach ab, wer zum ersten Mal bei einem „Poetry-Slam“ dabei ist und erklärt den überschaubaren Neulingen die ansonsten drei relevanten Regeln:
 

 

„Der, die, das – das ist wie
die Wahl
zwischen Pest
und Cholera.
Aidin Halimi

 

Der Text muss selbstgeschrieben sein, innerhalb des Zeitlimits von sechs Minuten vorgetragen werden und die Verwendung von Requisiten ist nicht erlaubt. Klingt simpel. Eigene Worte, bei denen es keine Rolle spiele, ob sie gereimt, erzählend, lustig, ernst, lyrisch, prosaisch, abgelesen oder frei heraus vorgetragen werden ... oder gar gesungen.

Denn eröffnet wurde der Abend von Sänger und Gitarrist Florian Saur, bekannt unter dem Namen „Flonoton“, der diesmal ohne seinen Perkussion-Partner vor Ort war. Zum Glück lässt der Singer-Songwriter aus Puchheim bei München nach seinem ersten Titel „Raus hier, ich hab’ keine Lust mehr“ keine Taten folgen, umrahmt vielmehr den Abend der gesprochenen Worte mit weiteren fünf Eigenkompositionen über Liebe, Herzschmerz, Leben und Tod. Jeweils intensive Texte auf Deutsch, eine Mischung aus Akustik-Pop und Pseudo-Rap, die mal dynamisch, mal melancholisch-balladesk so wie beim Stück „Liebe“ daherkommen: „Dass die Liebe irgendwo hinfällt, ist bekannt. Und wahrscheinlich ist sie mal wieder viel zu schnell gerannt“, singt er zum Abschluss mit klarer hoher Stimme zur Gitarre – einfach nur schön.

Dann der erste Slammer: Yannik Sellmann, der laute Schnellsprecher, der die bayrische Poetry-Slam-Meisterschaft gewonnen hat. Schon vor der ganzen Weltsituation sei er massiv überfordert gewesen, schreit mit schriller Stimme: „Ich mache Kunst, Comedy und komm groß raus …“. Wollte eigentlich am Neujahrsmorgen wieder durchstarten und dreht fortan temporeich wie ein Maschinengewehr durch, stellt fest: „Seit der Pandemie ist alles immer und sofort ganz viel schlimmer geworden.“ Bedeutend ruhiger und extrem fokussiert, was Sprache und Gemüt betrifft, gefällt anschließend der Wahlberliner Aidin Halimi. Der Mann, der ursprünglich aus dem Iran kommend trotz seines Studiums der Deutschen Literatur und Geschichte an der Humboldt Universität zu Berlin noch immer „ein Problem mit den drei Milliarden Artikeln“ hat. Er gibt zu: „Musste immer wieder nachschauen, war das „der, die oder doch das“? Warum es „der Tisch“ heißt und man etwas auf „den Tisch“ legt?“ Vier Jahre lang habe er Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und musste ständig erleben, wie sich auch seine Schüler abmühten. „Ich brauche keine Artikel. Der, die, das – das ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera!“, spricht er den Zuschauern tiefgründig und humorvoll aus der Seele.

Kurzweiliger Abend

Anna Teufel, amtierende fränkische Poetry-Slam-Meisterin aus Nürnberg, hat sogar ein ganzes Buch mitgebracht. Sie liest ihren Text über unangenehme Menschen vor und stellt sich die Frage: „Wenn es mich zweimal geben würde, würde ich dann selbst mit mir befreundet sein wollen?“ Sie geht ans Eingemachte und stellt dabei am Ende selbstreflektiert fest: „Ich glaube, dass ich mich abschleppen würde.“

Nik Salsflausen aus Esslingen, der 2015 deutschsprachiger Vize-Meister im Poetry-Slam wurde, haut dagegen die Tatsache raus: „Wenn Rinder so viel Methan pupsen, dass es schon schlecht fürs Klima ist, dann muss man doch nicht weniger Rinder essen …?“ Stille. Überlegen, verstehen, lachen. Darauf folgen Loreley, Ägäis, Griechenland und zarte Versuchungen, die einen in den Untergang reißen: Wie zum Beispiel abzunehmen.

Insgesamt acht völlig unterschiedliche Vorträge, jeder Slammer hatte zwei Geschichten parat, die jede auf ihre Art besonders war. Ein kurzweiliger Abend, bei dessen Durchführung die Macher der Bastion wieder voll ins Schwarze treffen.

Info: Der nächste Poetry-Slam in Kirchheim ist am 17. Juni als Open-Air-Veranstaltung geplant.