Als Manuel Kaiser am Montagabend gegen 22.30 Uhr in Plochingen in den Bus der Linie S1E steigt, ahnt er nicht, wie und vor allem wo die Fahrt enden wird. Ein ungutes Gefühl beschleicht ihn aber bereits vor dem Start. „Komisch war, dass an der Tafel am Einstieg kein Ziel stand“, erzählt der 34-Jährige aus Owen. Stattdessen prangen an dem Bus, der an dem Abend wegen Bauarbeiten am Schienennetz zwischen Plochingen und Kirchheim die S 1 ersetzt, die Worte: „Bitte nicht einsteigen.“ Vorsichtshalber haken Kaiser und andere Fahrgäste beim Busfahrer nach, ob er nach Kirchheim fährt. Der bejaht mit einem Blick auf eine Papierliste.
So eine Fahrt habe ich noch nie erlebt.
Manuel Kaiser
Der Owener hat über zwei Stunden von Plochingen nach Hause gebraucht
Schnell verstärkt sich bei Manuel Kaiser der Eindruck, dass etwas nicht stimmt. „Der Fahrer wusste von Anfang an nicht, wohin er eigentlich fahren soll“, erzählt er. „Er hat sich mit Hilfe der Liste und seinem Smartphone-Navi von Haltestelle zu Haltestelle gehangelt.“ Allerdings, so wird sich im Laufe der Fahrt herausstellen: Er findet sie nicht alle.
Mit dem Handy navigiert
In Wernau klappt es noch. Ein paar Unsicherheiten, dann hält der Bus am Bahnhof. „In Wendlingen ist er dann am Bahnhof vorbeigefahren.“ Die Passagiere lässt der Fahrer kurzerhand in der Stadtmitte aussteigen. „Dann ging es weiter Richtung Ötlingen – eine totale Katastrophe“, so Manuel Kaiser. Den Abzweig zum Ötlinger Bahnhof verpasst der Fahrer, stattdessen biegt er Richtung Lindorf ab. „Einige Passagiere haben ihm gesagt, dass er falsch fährt, aber er hat sie gar nicht verstanden.“ Als sie ihn nachdrücklich bitten zu stoppen, macht er auf der Brücke Halt und lässt sie raus.
Manuel Kaiser beobachtet noch, wie der Fahrer ein weiteres Mal sein Ziel auf dem Handy-Navi eingibt, als der Gelenkbus nach der Brücke rechts abbiegt. Am Fenster zieht der Ötlinger Bahnhof vorbei – allerdings auf der anderen Seite der Schienen. „Wir sind weitergefahren, irgendwo im Dunkeln abgebogen – und schließlich in einr Wiese steckengeblieben“, berichtet der Owener. Der Fahrer probiert noch ein paar Mal, vorwärts und rückwärts zu setzen – ohne Erfolg. „Der Bus hat sich keinen Meter mehr gerührt“, so Manuel Kaiser. Also beschließt er, gemeinsam mit den anderen Fahrgästen, zu Fuß zum Ötlinger Bahnhof zu laufen. Sein Plan, den letzten regulären Bus nach Owen zu erwischen, ist allerdings dahin. Er muss sich ein Ruftaxi bestellen. Als er in Owen ankommt, ist es 0.40 Uhr. „Ich habe über zwei Stunden von Plochingen gebraucht“, erzählt er kopfschüttelnd: „So eine Fahrt habe ich noch nie erlebt.“

Bei der Deutschen Bahn bedauert man den Vorfall. „Uns ist es wichtig, dass unsere Fahrgäste auch in den Bussen des Ersatzverkehrs zuverlässig, sicher und bequem unterwegs sind“, sagt ein Sprecher der Bahn. „Wir bitten unsere Kundinnen und Kunden ausdrücklich um Entschuldigung.“
Busfahrer sind Mangelware
Den Schienenersatzverkehr organisiere die Bahn mit Hilfe vieler Partner. „Nach Möglichkeit greifen wir dabei auf langjährige, feste Partner zurück.“ Allerdings: „Der Arbeitsmarkt für Busfahrerinnen und Busfahrer ist generell sehr angespannt, daher kommen die Betriebe aus unterschiedlichsten Regionen.“
Außerdem gebe es verbindliche Qualitätskriterien, an die sie sich Partner halten müssen. „Zu denen gehören auch die Gewährleistung der Strecken- und Haltestellenkenntnisse des eingesetzten Fahrpersonals.“ Busfahrerinnen und Busfahrer würden vor dem Start des Ersatzverkehrs in der Regel zwei Arbeitstage geschult, unter anderem mit Probefahrten. „Wir nehmen die Kritik an der fehlenden Streckenkenntnis sehr ernst und arbeiten den Fall mit allen Beteiligten umfassend auf“, versichert der Bahnsprecher.
Am Morgen ist er immer noch da
Wie die Nacht für den Busfahrer verlaufen ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Es deutet aber alles darauf hin, dass er sie in seinem Bus auf der Wiese verbracht hat. Margarethe Schwartz aus Ötlingen entdeckt den Bus, als sie am frühen Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit nach Wendlingen fährt. „Der Busfahrer saß immer noch drinnen.“ Margarethe Schwartz steigt ab, versichert sich, dass der Mann unverletzt ist und organisierte ihm eine Tasse Kaffee. Sie erfährt auch, dass ein Abschleppunternehmen unterwegs ist, um den Bus zu bergen – und dass sich der Mann im Raum Kirchheim nicht auskennt. „Soweit ich weiß, kam er mit dem Bus aus dem Kreis Schwäbisch Hall“, sagt sie.