Kirchheim. Bei Kirchheims Dekanin Kath gibt es an Karfreitag traditionell Fisch, für Pfarrer Keil ist es ein Fastentag mit Wasser und Tee. So unterschiedlich sind auch die Jugenderinnerungen. Keil wuchs als katholischer Junge im evangelischen Freudenstadt auf. „Seid leiser, die Evangelischen haben heute ihren großen Feiertag“, sagte die Mutter, bei der morgens noch gebacken wurde. Bei Dekanin Kath war eine sehr strenge Großtante zu Besuch. Wehe, die Renate wurde beim Stricken erwischt: An so einem Tag arbeitet man nicht. Auch wenn Stricken für die Schülerin keine Arbeit war.
„Wir feiern nicht mehr jeden Sonntag das ganze Kirchenjahr wie in der alten Kirche“, sagt Kath. „Man hat das auf ein ganzes Jahr verteilt. Das beginnt mit Advent, der Erwartung. Die meisten Menschen wissen, was Weihnachten ist, Ostern ist schon schwierig, Pfingsten völlig vergessen – der Heilige Geist, also dass wir hoffen, dass wir ab und zu mal von der Wahrheit berührt werden und das Richtige tun und sagen, das ist den Leuten völlig fremd.“
„Karfreitag – wenn man Schüler fragt, dass da Jesus gestorben ist, das wissen sie“, sagt Keil. „Ostern ist schon viel schwieriger, dass da Christus auferstanden ist. Und fragen Sie mal Erwachsene!“ Kath erinnert sich an Trauergespräche: „Da kommt es darauf an: Auf was hoffe ich denn jetzt? Anselm Grün sagte, der Mensch komme mit 40 ins metaphysische Lebensalter. Danach merkt man seine Grenzen. Man ist überfordert, wenn man seine Eltern begleiten soll. Dann kommen solche Fragen: Was passiert, wenn ich versage? Karfreitag sagt uns, es gibt nicht nur Tod. Durch den Tod ins Leben, davon singen ja unsere ganzen Lieder.“
In den letzten 30 Jahren hat man in der evangelischen Kirche den Ostermorgengottesdienst wieder entdeckt. „Der muss so beginnen, dass es bis zum Segen hell wird“, sagt Renate Kath. „Parallel gibt es auch die Tradition, dass man sich am Ostermorgen auf dem Friedhof versammelt. Ich bin um acht Uhr dort, mit dem Posaunenchor, bei Wind und Wetter. Karfreitag und Ostersonntag ist bei uns Abendmahl. Das hat mit der alten Tradition zu tun, als es nur einmal im Jahr Abendmahl gab.“
Dies ist bei den Katholiken anders. Die Karfreitagsliturgie ist keine Messfeier, der Tabernakel leer. „Karfreitag muss man aushalten, da gibt es kein Ostern“, sagt Keil. „Das ist ein Wortgottesdienst mit der Leidensgeschichte nach Johannes. Früher hat man gesagt, das sei ein ‚zerstörter Gottesdienst‘, ohne Kommunion war das für die Leute furchtbar. Zentral ist die Kreuzverehrung mit der Verneigung. Die Glocken schweigen vom Gloria an Gründonnerstag bis zum Gloria in der Osternacht. Wir machen das dramaturgisch schon ganz gut.“ „Da sind wir zurückhaltender“, sagt Kath. Das hänge auch mit der Aufklärung zusammen. „Da haben wir ganz viele äußerliche Zeichen verloren. Es geht bei uns weniger um das Nachspielen, als um das innerliche Mitvollziehen.“
Für Keil ist die ganze Karwoche eine Stresswoche. „Aber es ist eine ganz schöne Woche, in der man nacherleben darf, was damals passiert ist. Die Erstkommunionkinder sind voll eingebunden. An Gründonnerstag die Erstkommunion, am Karfreitagvormittag ein Kinderkreuzweg, teils ökumenisch.“ Auch die Passionsandachten sind in Kirchheim ökumenisch, und die Kirchenglocken erinnern überkonfessionell freitags um 15 Uhr an die Sterbestunde Jesu.
Was bedeutet dieser Tod für Kath und Keil persönlich? „Christus ist ein Solidaritätspartner für uns“, sagt Keil. „Er hat Leiden erfahren müssen. Wenn es mir übel geht, hat mir der Gekreuzigte schon etwas zu sagen. Ihm ist es noch schlimmer ergangen. Das hilft mir nicht weiter in meinem Leid, aber ich kann das Leid wenigstens anders annehmen.“ „Der leidende Christus“, sagt Kath, „versteht die Leiden seiner Menschen. Ich kann es jemandem sagen im Gebet, von dem ich weiß: Er weiß, wie es sich anfühlt, nur noch viel schlimmer.“