Kirchheim. Er gehört zu den ganz Großen: Im Juni darf Horst Kuhnert seinen 85. Geburtstag feiern. Die Galerie der Kreissparkasse Kirchheim nimmt das zum Anlass, den Bildhauer und Maler mit einer Retrospektive zu würdigen. Unter dem Titel „Form und Bewegung“ sind 50 Arbeiten zu sehen. Sie spannen einen Bogen von den informellen Anfängen der 1950er-Jahre bis zu den malerischen Arbeiten, denen sich der Künstler verstärkt seit 2010 widmet. Nicht zu vergessen die berühmten Polyesterarbeiten, die mit dem Namen Kuhnerts untrennbar verbunden sind.
Kuhnert war einer der ersten deutschen Künstler, die dieses Material bildhauerisch nutzten. In der bewussten Abkehr von tradierten Materialien erschloss er ästhetisches Neuland. Das flüssige und farblose Polyesterharz schien hinreichend neutral, um Kuhnerts konstruktivem Raumstreben dienen zu können. Auch die Künstlergruppe „Zero“ wollte einst mit Dogmen brechen und einen Neustart der Kunst einleiten. Zwar kam es zu keiner persönlichen Begegnung mit Heinz Mack, Günther Uecker oder anderen Zero-Künstlern. Kuhnert teilt aber mit ihnen das Bewusstsein für Zäsur: „Das politische Nichts nach 1945 bildete ein Vakuum in der Kunst“, sagt er, „mit Polyester versuchte ich den Neubeginn im Relief und in der Plastik.“
Neben Kubismus und Konstruktivismus hatte das Bauhaus Bedeutung für Kuhnerts Entwicklung. Persönlichkeiten wie Willi Baumeister und Heinrich Wildemann prägten das geistige Klima an der Stuttgarter Kunstakademie. Die Weißenhofsiedlung lag in Sichtweite: „Das freie Denken und die klaren Formen des Bauhauses hatten so auch Einfluss auf mich und meine Arbeiten“, blickt Kuhnert auf seine Studienzeit zurück. Ging der Bildhauer in seinen Polyesterarbeiten zunächst vom Relief aus, vollzog er später eine Erweiterung ins Plastische: „Raumflächen“ und „Raumkörper“ entstehen. Mit seinen Tafelbildern schlägt Kuhnert den umgekehrten Weg ein. Hier interessiert ihn die Umsetzung plastischer Arbeiten ins Zweidimensionale. Farbe und Form geraten in raumschaffendes Wechselspiel. Auch die Grafiken und Siebdrucke, denen sich Kuhnert Ende der 60er-Jahre zuwendet, stehen in engem Bezug zu seinen Polyesterplastiken. Stets dränge ihn die Neugier, äußerte er sich 2015 in einem Interview: „Ich will von meinen eigenen Lösungen überrascht sein.“ Anno 2024 bleibt Horst Kuhnert ungebrochene Tatkraft zu wünschen. Die Kirchheimer Retrospektive bietet Gelegenheit, dem forschenden Geist eines großen Künstlers nachzuspüren.
Die Ausstellung „Horst Kuhnert – Form und Bewegung“ ist bis 26. April in der Galerie der Kreissparkasse Kirchheim, Alleenstraße 160, zu sehen. Florian Stegmaier