„Wie geht es dir?“ Wenn Mütter und Väter in Cora Haibles „Baby-Steps“-Kursen auf diesen Satz antworten, schwingt darin manchmal auch ein wenig Erleichterung mit. Erleichterung darüber, nicht so tun zu müssen, als sei das Leben mit einem Säugling immer rosarot und zauberhaft. „Ich kann eigentlich überhaupt nichts machen. Sie zieht sich überall hoch“, sagt die Mutter eines kleinen Wonneproppens, der gerade jauchzend über die blauen Matten krabbelt, um in einen O-Ball zu beißen. Sie sieht sehr müde aus. „Sie ist so goldig, brabbelt die ganze Zeit. Aber sie schläft nicht. Ich halte das nicht gut aus. Wenn man sich überlegt, dass man seit acht Monaten nicht mehr drei Stunden am Stück geschlafen hat ...“
Cora Haible lächelt und nickt mitfühlend. Die junge Holzmadenerin hat ein ruhiges Wesen, Zuhören ist offenbar ihre Stärke. Ratschläge gibt sie nur wenige, Infos werden nebenbei eingestreut. Sie lässt die Eltern einfach reden, während die Babys die Umgebung erkunden, gestillt werden oder vor sich hin brabbeln. „Ganz wichtig im Kurs ist mir der Austausch zwischen den Eltern, damit sie merken, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Dass auch viele andere die gleichen oder zumindest ähnliche Kämpfe kämpfen“, sagt sie hinterher.
Eigentlich arbeitet Cora Haible als Softwareentwicklerin. Als sie Mutter wurde, begann sie, sich mit bindungs- und bedürfnisorientierter Erziehung auseinanderzusetzen und absolvierte eine Ausbildung zur „Baby-Steps“-Kursleiterin, um andere Eltern mit Babys im ersten Lebensjahr zu begleiten. Bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet für Haible, das Urvertrauen und Selbstbewusstsein des Kindes zu bewahren, indem man ihm als Eltern signalisiert „Ich höre und sehe dich und bin immer für dich da“. Dazu gehöre, auch negative Gefühle wie Wut oder Trauer ernst zu nehmen, sagt Haible. „Man redet keine Gefühle aus oder drückt sie weg.“ Der Klassiker ist das Kind, das weint, weil es sich wehgetan hat, und die elterliche Reaktion darauf: „Ist doch nichts passiert.“ Cora Haible rät Kurseltern davon ab, solche automatischen Sätze zu verwenden, denn: „Es ist ja was passiert, und das darf man dann ruhig auch sagen“. Nur wenn negative Gefühle benannt würden, könnten Kinder lernen, das Gefühl mit den Worten zu verknüpfen. „Viele Menschen können eigene Bedürfnisse nicht spüren, weil es nicht wichtig war“, sagt Haible.
Lieber nach Bedarf stillen
Auch Stillen nach Bedarf statt nach festen Zeitabständen – etwas, das im Grunde schon im Mainstream angekommen ist – ist Bestandteil bindungsorientierter Erziehung. „Die konventionelle Erziehung kam ja noch stark aus der Nazizeit, aber das Erziehungsziel ist halt nicht mehr, dass Kinder funktionieren, sondern dass sie gesund groß werden dürfen“, sagt Haible. Sie weiß, dass junge Eltern sich oft gegenüber Großeltern, die mit diesem Erziehungsstil groß geworden sind, rechtfertigen müssen, wenn sie ihre Kleinkinder bei sich schlafen lassen, Babys nach Bedarf stillen oder sie nicht schreiend allein lassen. Haible rät, dagegen zu argumentieren, schließlich gebe es mittlerweile viel mehr wissenschaftliche Erkenntnisse. „Ich bringe oft evolutionär bedingte Erklärungen. Kinder haben in der Steinzeit beispielsweise auch nicht in einer anderen Höhle geschlafen, deshalb ist es normal, wenn sie nicht im eigenen Zimmer schlafen wollen.“
Für Haible bedeutet bindungsorientierte Erziehung nicht, dass Eltern alles hinnehmen müssen. „Wenn die Mutter am Stock geht, funktioniert das System nicht“, sagt sie. Natürlich dürfe man „Nein“ zu Kindern sagen. Es gehe nicht darum, keine Grenzen zu setzen, sondern darum, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe zu kommunizieren. Wichtig sei auch, dass Eltern nicht zu streng mit sich seien. „Ich betone oft, dass es normal ist, Fehler zu machen, weil man als junge Eltern eben noch Anfänger ist“, sagt Haible. Kinder großzuziehen sei anstrengend, und Menschen seien nicht dafür gemacht, das in Kleinfamilien, wie es heutzutage üblich ist, zu machen. „Wir brauchen ein Dorf, das Eltern unterstützt und entlastet.“
Info Cora Haibles Kurse starten wieder im September. Infos zur Anmeldung gibt es auf www.fbs-kirchheim.de.