Texte und Töne wehen wieder durch die Stadtbücherei: Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Ferienzeit angebrochen ist und die Daheimgebliebenen sich der Muse hingeben. Die Texte in der Kirchheimer Stadtbücherei stammen diesmal vorwiegend von Michael Ende, dem Autor von „Jim Knopf“, „Momo“ und der „Unendlichen Geschichte“. Er hätte dieses Jahr seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert. Vorgestellt werden aber nicht Texte aus diesen Klassikern der Jugendliteratur, sondern bisher eher unbekannte, wie Büchereileiterin Ingrid Gaus ankündigte.
Für die Auswahl und die Töne war Rainer Markus Wimmer zuständig. Der Liedermacher aus Karlsruhe hat sich vorgenommen, sein Publikum auf eine musikalische Reise mitzunehmen durch die fantastische Welt von Michael Endes Poesie. Dazu hat er Prosatexte von und über den Autor aufgespürt und Balladen vertont. In einer Ballade über den Seiltänzer Felix Fliegenbein fand er den roten Faden für den Abend. Sie kam gleich zum Vortrag: Der Seiltänzer Felix Fliegenbein wagt sich bei seinen waghalsigen Manövern auf ein immer dünneres Seil, bis er schließlich ganz ohne Seil zu arbeiten versucht. Er wird, nun ohne Halt, durch einen Windstoß in den Himmel geschleudert mit dem Kommentar: „Ihm geht es um die Kunst.“ Das Motto für den Abend ist gefunden.
Ende, der nur 65 Jahre alt wurde, ging es ein Leben lang um die Kunst. Ein Beispiel dafür ist, dass er aus künstlerischen Gründen gegen die Verfilmung seiner „Unendlichen Geschichte“ in Hollywood einen Prozess anstrengte. Für ihn war die Vermischung von Fantasie- und realer Welt - wie im Film geschehen - unerträglich.
Ein persönliches Anliegen
Wimmer wechselte bei der Präsentation zwischen dem Vortrag einer Ballade und Prosatexten von und über Michael Ende ab. Bei „Ritter im Gewitter“, „Das Schiff der Richter“ und „Lobgesang für einen Nichterfinder“ erfährt man, dass Michael Endes Vater ein surrealistischer Künstler war, der sich in der Dunkelheit zu seinen Bildern inspirieren ließ. Ende fand das „Weltbild des nur Beweisbaren langweilig“. Wie in „Der wirkliche Apfel“ thematisiert wird, gibt es für ihn nicht nur eine Wirklichkeit, die naturwissenschaftliche, sondern eine vielfältig fantastische. Die Fantasie kann die Realität nicht beschreiben, aber den Blick auf sie mit Leben erfüllen.
Es ist aber nicht so, dass Ende mithilfe der Fantasie eine Weltflucht betrieben hatte. Er befasste sich mit dem archaischen Wissen der Mythen und Religionen. Dadurch erfuhren bei ihm beispielsweise Namen und auch Tiere eine tiefere Bedeutung. Als Beispiel nennt Wimmer die Schildkröte, die bei Endes Texten immer wieder auftaucht. Sie ist Sinnbild für ein bedürfnisloses, nutzloses und altersloses Wesen. In Stein gehauen schmückt sie nun Endes Grab in München.
Von der Anthroposophie Rudolf Steiners beeinflusst griff Ende massiv den kapitalistischen Wachstumsglauben und den Fortschrittsglauben der Naturwissenschaften an. Für Wimmer ist die Beschäftigung mit dem „anderen“ Ende ein persönliches Anliegen. Das schafft auch beim Publikum Nähe zu seinem Vortrag. Das Engagement gründet nicht auf einer persönlichen Begegnung mit Michael Ende, sondern entstand durch einen gemeinsamen Freund und Kenner. Als studierter Naturwissenschaftler hat sich Wimmer durch Endes Dichtungen ganz bewusst in die Fantasiewelt und in die Musikalität der Texte entführen lassen. Ende war selbst musikalisch aktiv, ist aber damit nie in der Öffentlichkeit aufgetreten. Das holt Wimmer jetzt nach mit seiner Gitarre. Das virtuose Spiel gibt den Texten einen poetischen Glanz, geht aber, das ist die Gefahr bei Vertonungen, auf Kosten der Verständlichkeit des Textes. Dazu trägt auch Wimmers eher zurückhaltende Singstimme bei. Er steigert sich aber im Laufe des Abends immer mehr, bis er bei zwei Zugaben zur allgemeinen Erheiterung bei seinem nächsten Programm „Mit 60“ landet.