Kirchheim
„Es war ein ständiges Hin und Her“

Corona Das Beherbergungsverbot verhagelt Reisenden die Urlaubsplanung und sorgt für Andrang in den Arztpraxen. Das VGH-Urteil macht Reisen im Ländle einfacher. Von Antje Dörr

Ihre Auslandsurlaube haben Edith und Wolfgang Clausnitzer, die als Rentner gerne und viel reisen, in diesem Jahr bereitwillig abgesagt. „In ein Risiko­gebiet zu reisen oder in einem vollen Flugzeug zu sitzen, das war uns zu gefährlich“, sagt der Nürtinger. Den Herbsturlaub wollte das Paar stattdessen in der Pfalz verbringen, in einer Ferienwohnung in einem 200-Seelen-Ort. Dann wurde der Landkreis Esslingen zum Corona-„Hotspot“ erklärt - und damit war auch dieser Urlaubsplan gestorben. Ein letzter Versuch, den Urlaub im Schwarzwald zu verbringen, scheiterte aus denselben Gründen.

Solche oder ähnliche Geschichten hört man zuhauf in diesen Tagen, auch nachdem der Verwaltungsgerichtshof (VGH) das umstrittene Beherbergungsverbot für Baden-Württemberg außer Vollzug gesetzt hat. Sie handeln von Menschen, die im Grunde alles so gemacht haben, wie es Politiker empfohlen haben. „Urlaub in Deutschland machen“, lautete die Devise. Bis mit der zweiten Corona-Welle das Beherbergungsverbot ins Land schwappte und vielen Menschen einen Strich durch die Rechnung machte. „Das Frustrierende war, dass absolut nichts klar war. Es war ein ständiges Hin und Her“, beschreibt Wolfgang Clausnitzer die Urlaubs-Odyssee.

Wer in Nürtingen, Kirchheim, Owen oder einem anderen Ort im Risikogebiet Landkreis Esslingen wohnt und am Bodensee oder im Schwarzwald Urlaub machen möchte, darf das seit dem VGH-Urteil am Donnerstag wieder tun, auch ohne negativen Corona-Test. Auch in Bayern gilt das Beherbergungsverbot ab heute nicht mehr. Wer dagegen an die Nordsee reisen möchte, braucht weiterhin ein höchstens 48 Stunden altes negatives Testergebnis. Der Abstrich muss privat bezahlt werden.

Doch wer testet Reisende überhaupt? Die Corona-Abstrichzentren (CAZ) in Nürtingen und auf den Fildern jedenfalls nicht. „Die CAZ sollten für Menschen mit Symptomen und Kontaktpersonen vorgehalten werden“, sagt die Pressesprecherin des Landratsamts Andrea Wangner. Für Reisende sei ein Test als Privatleistung am Flughafen möglich. Wer nun auf gut Glück zum Flughafen fährt, könnte allerdings enttäuscht werden. Denn das dortige Testzentrum, das von Land und Kassenärztlicher Vereinigung (KV) betrieben wird, ist für Reisende aus inländischen Risikogebieten nicht zuständig. Dort würden nur Reiserückkehrer aus ausländischen Risikogebieten getes­tet, heißt es ausdrücklich auf der Homepage. Das „Airport Medical Center“ am Stuttgarter Flughafen hingegen testet Reisende aus dem Landkreis Esslingen, allerdings nur mit Termin.

Mobilität kritisch reflektieren

Eine weitere Anlaufstelle für Reisende seien die Schwerpunktpraxen im Landkreis, sagt Kreis-Sprecherin Andrea Wangner. Manche dieser Corona-Schwerpunktpraxen, also reguläre Haus- oder Facharztpraxen, die für Corona-­Verdachtsfälle oder Infektpatien­ten spezielle Sprechstunden anbieten, sind jedoch angesichts steigender Infektionszahlen ohnehin am Limit. „Wir sehen unsere Aufgabe in der Betreuung kranker Menschen und der Eindämmung der Pandemie. Damit sind wir derzeit ausgelastet“, sagt Dr. Wolf-­Peter Miehe, der in Weilheim eine der Corona-Schwerpunktpraxen betreibt und der als Vorsitzender der Ärzteschaft im Altkreis Nürtingen eine Art Sprecher seiner Zunft ist. „Reiseabstriche machen wir nur in ganz vereinzelten Ausnahmefällen, wenn Kapazitäten da sind.“ In der Regel verweise man an den Flughafen. „Ich glaube, dass die Menschen im Landkreis ihre Mobilität jetzt kritisch reflektieren müssen“, sagt Miehe.

In einer weiteren Schwerpunktpraxis heißt es, man teste Reisende, stoße aber allmählich an seine Kapazitätsgrenzen. Ein Kirchheimer Hausarzt, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagt klipp und klar: „Die Kranken gehen vor“. Er hoffe auf die Schnelltests. „Dann könnten wir auch wieder Reisende testen.“

Wolfgang und Edith Clausnitzer haben sich gegen einen Corona-Test entschieden. „Unser Hausarzt konnte nicht garantieren, wie lange es dauert, bis wir das Ergebnis haben“, sagt Wolfgang Clausnitzer. Dafür kam ein Anruf aus der Pfalz von der Vermieterin der Ferienwohnung. „Wir dürfen jetzt doch kommen, weil Rheinland-Pfalz das Beherbergungsverbot ausgesetzt hat“, sagt Wolfgang Clausnitzer. Zumindest diese Odyssee findet damit ein Ende.