Als einer der weltweit führenden Hersteller von Brennstoffzellen will Cellcentric von seinem Hauptsitz in Kirchheim-Nabern vor allem den Güterverkehr klimaneutral machen – und ist dabei als Joint Venture von Daimler Truck und Volvo ganz vorne mit dabei. Nicht ohne Grund hat das Magazin „Stern“ das Unternehmen im April als innovativsten Mittelständler im Bereich Energie ausgezeichnet. Doch der Vorsprung ist während der Corona-Zeit geschmolzen. „Statt fünf Schritten sind wir noch ein halbes Däpperle vorne“, sagt der gebürtige Schwabe und CEO von Cellcentric Dr. Matthias Jurytko beim Besuch eines Teils der Grünen-Fraktion und zeigt den geschmolzenen Vorsprung mit einem quer gestellten linken Fuß vor dem rechten. Mit Fraktionschef Andreas Schwarz und der Landtagspräsidentin Muhterem Aras ist die Besuchergruppe prominent besetzt und vor allem Schwarz sowie Ministerpräsident Winfried Kretschmann gelten als absolute Befürworter der Technologie und des geplanten neuen Standorts in Weilheim. Die Stippvisite hat aber einen gewichtigen Grund, der über einen Höflichkeitsbesuch hinausgeht.
Es ist ein Problem aus unerwarteter Richtung aufgetreten: Auf Initiative von fünf Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, läuft in der EU derzeit eine Konsultation zum Verbot von PFAS, das zu den sogenannten Ewigkeits-Chemikalien gehört und schwer abbaubar ist. Bekannt ist es in Pfannen als Teflon oder an regenabweisender Outdoor-Bekleidung. „Es ist aber auch wichtig für die Brennstoffzelle“, sagt Prof. Christian Mohrdieck, CCO von Cellcentric. Es sei ein klassischer Zielkonflikt: Werden sämtliche PFAS-Produkte wegen gesundheitlicher und umwelttechnischer Bedenken verboten, sei die Brennstoffzelle und damit der Green Deal der EU in Gefahr. Trotz zahlreicher Versuche habe man bislang keinen gleichwertigen Ersatz finden können. „Wir versuchen es seit 15 Jahren“, betont Mohrdieck. Der nun veröffentlichte Vorschlag sieht vor, dass PFAS nur noch in Bereichen zum Einsatz kommen dürfen, in denen es auf absehbare Zeit keine geeigneten Alternativen geben wird oder die sozio-ökonomischen Vorteile die Nachteile für Mensch und Umwelt überwiegen. Darauf ruhen derzeit die Hoffnungen der Unternehmen, die gegen die Abschaffung sind.
Die Initiative zum PFAS-Verbot hat übrigens mit Arbeitssicherheit zu tun, kam unter anderem aus dem deutschen Arbeitsministerium. „Diese Info hatte ich noch nicht“, gab Andreas Schwarz zu und versprach mit seinen Parteikolleginnen und -kollegen, sich für eine Ausnahmeregelung stark zu machen.
Förderung gerät ins Stocken
Ein zweites Thema, was die „Cellcentriker“ umtreibt, ist das sogenannte IPCEI. Das „Important Project of Common European Interest“ sieht die Möglichkeit staatlicher Förderung für Projekte aus Wirtschaft und Politik vor. Ausdrücklich darf die Förderung auch an wirtschaftlich starke Regionen gehen, wenn sie einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und Wirtschaft leisten und zu den strategischen Zielen der Europäischen Union. Und es müssen mindestens drei Mitgliedstaaten beteiligt sein. All das erfüllt Cellcentric, das mit mehreren europäischen Partnern die Innovation im Bereich Brennstoffzelle für den Güterverkehr vorantreiben möchten, und die Gelder liegen bei Bund und Ländern schon bereit. Nur ist der Prozess jetzt auf europäischer Ebene ins Stocken geraten und wird wohl erst 2024 entschieden. „Wenn wir in Europa so weitermachen, werden wir zurückfallen“, warnt Christian Mohrdieck. Ein erster Mitstreiter sei bereits abgesprungen.
„Wir wollen diese Projekte“, versichert Andreas Schwarz, die Entscheidungsgeschwindigkeit mit politischen Mitteln anzutreiben. Und dann ist ja da noch das neue Gewerbegebiet Rosenloh in Weilheim als Sitz des neuen Cellcentric-Klimawerks: trotz positivem Bürgerbescheid immer noch Verhandlungen mit Grundstückseigentümern. „Ich kann ruhig schlafen“, sagt Matthias Jurytko. Denn was Cellcentric seit 25 Jahren auszeichne, sei ein langer Atem: „Unsere Kultur ist die Ausdauer.“ Die braucht man wohl auch als Innovationstreiber. „Wir sind Teil der großen Strategie, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten“, sagt er. Dem Lkw-Verkehr wird 25 Prozent des CO2-Ausstoßes im Verkehr zugeschrieben. Dass auch die serienreife Lösung aus der Region kommt, daran arbeitet das Team. „Wir sind in vielen Dingen die Ersten“, sagt der CEO.