Kirchheim
„Für mich als Europäer unverständlich“

Brexit Die Firmen im Raum Kirchheim äußern sich verärgert bis zurückhaltend zum EU-Ausstieg Großbritanniens. Für Keller Lufttechnik ist vor allem eine reibungslose Teilelieferung auf die Insel wichtig. Von Thomas Zapp

Der Kirchheimer Unternehmer Horst Keller versteht die Welt nicht mehr, zumindest den Teil, der auf einer ziemlich großen Insel in der Nordsee liegt. „Für mich als überzeugten Europäer ist es unverständlich, dass ein Land wie Großbritannien die Europäische Gemeinschaft verlassen will. Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Bürokratie sind nicht abzuschätzen. Er ist ein gewaltiges Risiko für die Wirtschaft und sicher auch für die Gesellschaft“, sagt er gegenüber dem Teckboten.

Am 29. März 2019 soll der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs über die Bühne gehen. Die Folgen sind noch nicht abzusehen, die Szenarien düster. Die Firma Keller Lufttechnik, der Horst Keller vorsteht, hat Kunden in Großbritannien, die „eine schnelle und unbürokratische Abwicklung“ erwarten, so Horst Keller. Einer der größten Kunden auf der Insel ist der Autobauer Ford. „Unsere Anlagen werden dort zur Produktion benötigt“, sagt Keller.

Das Kirchheimer Unternehmen stellt Absaugsysteme und innovative Filter zur Luftreinhaltung her, die vor allem in der Industrie zum Einsatz kommen. Ausfallzeiten können sich Firmen nicht leisten. „Eine reibungslose Versorgung mit Ersatz- und Verschleißteilen, Inspektion und Wartung sind wichtig“, erklärt Keller. Die Versorgung könnte zum Beispiel verlangsamt werden, wenn es wieder Zollkontrollen zwischen Großbritannien und der EU geben wird, je nachdem welches Brexit-Szenario eintritt. Zollabfertigung ist zeitaufwendig und teuer. „Lieferzeiten werden sich verlängern, wenn ein freier Verkehr von Waren nicht mehr möglich ist“, sagt Horst Keller.

So wie ihm geht es noch zahlreichen anderen Firmen im Kreis und in Baden-Württemberg. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart liegt das Vereinigte Königreich unter den Top Ten der Außenhandelspartner baden-württembergischer Firmen. Zwischen Januar und September haben die Firmen fast sieben Milliarden Euro mit Großbritannien umgesetzt, nur sechs Länder sind noch bessere Handelspartner. Allerdings hat der Umsatz durch Exporte auf die Insel im Jahresvergleich zu 2017 bis September um 18,4 Prozent abgenommen. Bis Jahresfrist erwartet die IHK ein Minus von 20 Prozent.

Befragt man international tätige Firmen in und um Kirchheim, herrscht Zurückhaltung, auch was Auskünfte über die Strategien betrifft. Tassilo Zywietz, Geschäftsführer Außenwirtschaft und Dienstleistungen bei der IHK Region Stuttgart, weiß, warum: „Es sind weniger als 100 Tage bis zum Brexit, und es ist immer noch unklar, ob und wenn ja welcher Deal zwischen EU und Großbritannien zustande kommt. Das macht es den Unternehmen schwer, sich gut auf das Austrittsszenario vorzubereiten, und sorgt für viel Unsicherheit.“

Die jährliche Studie „Going International“ hat 2018 das Sonderthema Brexit behandelt und für die baden-württembergischen Unternehmen ergeben, dass sich fast 20 Prozent noch nicht damit beschäftigen, ob sie direkt oder indirekt von den Folgen betroffen wären. Zehn Prozent planen Verlagerungen auf andere Märkte aufgrund des bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens. Was die Firma Keller konkret machen wird, will der Firmenchef indes noch nicht preisgeben. Die Aussagen bleiben vorerst allgemein. „Wir stehen mit den betroffenen Kunden in Kontakt und haben verschiedene Szenarien simuliert. Beide Seiten müssen sich auf die Veränderungen einstellen.“

Einen sorglosen Jahreswechsel kann verleben, wer relativ entspannt auf die Entwicklungen in Großbritannien schauen kann. So wie Stefan Sander, Geschäftsführer des Kirchheimer Kehrmaschinenherstellers Haaga. „Wir haben minimale Umsätze in Großbritannien. Wir nehmen es, wie es kommt“, sagt er. Ein geschäftliches Risiko sei nicht vorhanden.

5 Die IHK Region Stuttgart informiert zum Brexit unter der E-Mail-Adresse brexit@stuttgart.ihk.de oder Telefon 07 11/20 05 12 43