Johannes thront auf dem Rücken von Haflingerstute Sissi und striegelt kräftig mit der Kardätsche durch ihre helle Mähne. „Mama auch“, bettelt er. Eliza Wahl gibt nach. Ausnahmsweise. Denn eigentlich gehört die wöchentliche Stunde auf dem Krettenhof in Wäschenbeuren ihrem Sohn Johannes, Reittherapiepferd Sissi und Katrin Hofmann, Diplom-Sportwissenschaftlerin und Leiterin des Gesundheitszentrums in Göppingen. An diesem Tag ist aber alles ein bisschen anders. „Heute putzen wir mal gemeinsam … bekommen nämlich Besuch!“, wird Eliza Wahl an diesem Abend zusammen mit einem Bild von der gemeinsamen Striegelaktion mit ihrem Sohn in einer Instagram-Story posten – wie schon so viele andere Momente mit ihm zuvor.
(Dieser Artikel stammt aus unserem Archiv. Er wurde am 20. März 2024 veröffentlicht)

Seit rund fünf Jahren gibt Eliza Wahl aus Wäschenbeuren auf ihrem Instagram-Kanal „Mitten ins Herz Johannes“ Einblicke in ihr „Familienleben mit Extra-Chromosom“, wie sie es im Profil beschreibt. Auf allen Bildern und Videos zu sehen ist Johannes, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde. Mal sitzt er auf dem Schoß von Papa Rolf, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ohne erkennbare Mängel“ trägt und übers ganze Gesicht strahlt. Ein anderes Mal schleckt er mit seinen beiden großen Brüdern im Urlaub am Gardasee an einem riesigen Eis. Oder er trifft seinen Kumpel Oskar, der ebenso wie Johannes ein Extrachromosom hat. Einmal postet Eliza Wahl auch ein Bild von Johannes’ kleinem Fuß, zwischen den Zehen ein Kleeblatt, und schreibt darunter die Worte: „Unsere kleine Wundertüte ist das vierblättrige Kleeblatt, nach dem ich mein ganzes Leben gesucht habe, und ein absolutes Glückskind.“
In ein tiefes Loch gefallen
Familienglück ist auch mit Trisomie 21 möglich: Das möchte Eliza Wahl mit ihrem Instagram-Kanal in die Welt tragen. Bei Johannes wurde in der 24. Schwangerschaftswoche ein Herzfehler entdeckt. Die Ärztin riet zu einem Bluttest, da dieser Herzfehler oft mit einer Trisomie 21 einhergeht. „Als der Anruf kam, dass mein Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 Prozent das Down-Syndrom hat, bin ich erst einmal in ein tiefes Loch gefallen“, gesteht Eliza Wahl. Anders als sie und ihr Mann entscheiden sich die meisten werdenden Eltern gegen ein Kind mit Extra-Chromosom: „Es werden immer noch neun von zehn Kindern mit der Diagnose Down-Syndrom abgetrieben.“

Unterdessen scheint ihre Botschaft anzukommen: „Bei einer Veranstaltung zum Welt-Down-Syndrom-Tag ist eine junge Mutter auf mich zugekommen und hat sich bedankt, dass ich unseren Familienalltag so offen zeige. Für sie sei das mit ein Grund gewesen, sich für ihr Kind zu entscheiden“, freut sich Eliza Wahl. Aufklärung betreibt sie aber nicht nur in den sozialen Medien. Unter ihrer Leitung sind auch die „Mutmachbriefe – Liebe zählt keine Chromosomen“ entstanden, eine Broschüre, die der Elternverein Gemeinsam Leben Göppingen bereits in der dritten Auflage herausgegeben hat und die bei Frauenarztpraxen, Hebammen und in Kliniken ausliegt. In dem Heft stehen Briefe von Eltern und Geschwistern an ihre ganz besonderen Kinder.
Die Reittherapie hilft
Johannes, Sissi und Katrin Hofmann sind mittlerweile auf dem Reitplatz des Krettenhofs angekommen. Liebevoll tätschelt Johannes den Hals der Stute, dann ruft er: „Los geht’s.“ „Bei Johannes wirkt sich die Reittherapie positiv auf die Sprachentwicklung aus“, hat Eliza Wahl festgestellt. Auch sein Muskeltonus habe sich verbessert.
Die Reittherapie ist aber nur einer von vielen Terminen, die sie mit Johannes wahrnimmt. Nachmittags, wohlgemerkt. Denn vormittags geht Eliza Wahl ihrem Beruf als Leiterin der Grundschule in Bünzwangen nach, Johannes besucht den Regelkindergarten in Wäschenbeuren, stundenweise unterstützt von einer Integrationskraft. Außerdem stehen regelmäßig Logopädie und Eltern-Kind-Turnen auf dem Programm. Auch Arzttermine werden häufiger wahrgenommen: „Viele Kinder mit Down-Syndrom haben Probleme mit Augen und Ohren“, sagt Eliza Wahl. Johannes muss zum Beispiel regelmäßig zum Ohrenarzt und alle neun Monate zum Kardiologen. Wegen seines Herzfehlers musste er mit fünf Monaten am Herz operiert werden. „Das war die schwerste Zeit für uns“, blickt Eliza Wahl zurück. Das Down-Syndrom dagegen spielte nach Johannes’ Geburt gedanklich für sie kaum eine Rolle mehr.
Gerade stand die Einschulungsuntersuchung an und das Thema Schule rückt näher. Wenn Johannes im Herbst 2025 eine Regelschule besuchen soll, braucht er eine Schulbegleitung. „Bisher wird die Integrationskraft von der Gemeinde bezahlt. Mit dem Schuleintritt brauchen wir einen Träger, der die Schulbegleitung zu fairen Konditionen einstellt.“
Mehr Entlastung erwünscht
Auch sonst wünscht sich Eliza Wahl mehr Entlastung im Alltag: „Der Entlastungsbeitrag der Pflegestufe reicht gerade mal dafür, dass alle zwei Wochen jemand für 1,5 Stunden im Haushalt hilft.“
Geholfen werden kann Eltern von Kindern mit Extra-Chromosom und solchen, die es werden, aber auch mit kleinen Gesten und Worten. „Es braucht zum Beispiel mehr Menschen, die ,Herzlichen Glückwunsch‘ sagen statt ,Es tut mir leid‘, wenn ein Kind mit Down-Syndrom unterwegs ist“, macht Eliza Wahl deutlich. Und statt dem viel gehörten Spruch „Hauptsache gesund“ gilt für sie: „Hauptsache geliebt“.
Welt-Down-Syndrom-Tag schafft Aufmerksamkeit
Der Welt-Down-Syndrom-Tag wird jedes Jahr am 21. März begangen. Das Datum greift symbolisch die Tatsache auf, dass bei Personen mit Down-Syndrom das 21. Chromosom dreimal vorkommt. Ziel ist es, das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für Menschen zu schaffen, die mit dem Down-Syndrom leben, und zu mehr Inklusion und Teilhabe aufzurufen.
Die Broschüre „Mutmachbriefe“ wird vom Elternverein Gemeinsam Leben Göppingen herausgegeben. Erhältlich ist sie über die Geschäftsstelle. Weitere Infos und Kontakte bietet die Website www.gemeinsamleben.org.
Einblicke in Eliza Wahls Familienleben sowie Infos rund ums Thema Trisomie 21 gibt es auf dem Insta-Kanal @mitten_ins_herz_johannes