Kinder können bei Tagesmüttern flexibel untergebracht und individuell betreut werden
Familienleben ganz ohne Korsett

Überfüllt, laut und stressig – für manche Kinder ist die Kita oder Kernzeit nicht die richtige Unterbringung. Immer mehr Eltern setzen deshalb auf die individuelle Betreuung durch Tagesmütter und -väter.

Kirchheim. Es ist laut im Wohnzimmer von Tabea Lau. Kinder blättern in Bilderbüchern, lassen Autos die Spielbahn hinuntersausen und rufen aufgeregt. Diese fröhliche Stimmung ist kein Ausnahmezustand, denn Tabea Lau hat selbst vier Kinder. „Nachmittags ist das Haus also eh voll“, schmunzelt sie. Deswegen hat sie kein Problem, auch noch vier weitere Tageskinder unter ihre Fittiche zu nehmen. Jeden Mittag kommen sie nach dem Kindergarten oder der Schule zur Familie Lau, um dort gemeinsam Mittag zu essen. Nach ausgiebigem Spielen, Spaziergängen oder Ausflügen in die Bücherei werden um 19 Uhr die letzten beiden Jungen abgeholt. Ihre Mutter ist Ärztin und hat nicht selten Dienst bis abends. Eltern wie sie sind dankbar über die flexiblen Betreuungszeiten, die eine Tagesmutter bietet.

„Die familienähnliche Atmosphäre ist das Wichtigste am Konzept der Kindertagespflege“, erklärt Sibylle Schober, Geschäftsführerin des Tageselternvereins Esslingen. Für viele Kinder ist diese Betreuung deutlich entspannter, als den ganzen Tag in einer Gruppe zu verbringen. Diese Erfahrungen hat auch das Ehepaar Lau gemacht. „Längere Zeit in einer großen Gruppe zu sein, das verkraften manche nicht“, meint Mirko Lau und ist überzeugt: „Kinder fühlen sich in familiären Strukturen am wohlsten.“ Er fordert deswegen, dass es einfacher sein sollte, Tagesmama oder -papa zu werden, anstatt in Großgruppen zu investieren. Auch Tabea Lau weiß, dass Ruhepausen und Rückzugsorte wichtig sind. „Hier zu Hause können sich die Kinder auch einfach mal aufs Sofa legen. Sie werden nicht in ein Korsett gepresst“, findet sie.

Auch die Vorstandsvorsitzende des Tageselternvereins, Antje Krause, unterstützt die Ansicht, dass jedes Kind eine andere Betreuungsform braucht. Die Familie sollte im Idealfall frei entscheiden können, ob das Kind in eine Tagesfamilie geht oder lieber in eine Ganztagesbetreuung. Sie bedauert, dass die Entscheidungsfreiheit fast nie gegeben ist. „Das Finanzielle entscheidet“, weiß auch Mirko Lau. Er fordert, dass Kindergartenplätze und Tageseltern vom Staat gleich gefördert werden sollen.

Der grüne Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz, der Familie Lau besucht, stimmt zu: „Ja, wir müssen Wahlmöglichkeiten schaffen. Wir brauchen aber alles, auch Ganztagesschulen.“ Er betont, dass man die verschiedenen Betreuungsformen nicht gegeneinander ausspielen sollte. Denn auch in Kindertageseinrichtungen ist es gelungen, die Gruppengröße bei mehr Personal zu verringern. Ihm ist außerdem ein besserer Austausch wichtig: „Tageseltern sind keine Inseln, sie sollen sich nicht abschotten, sondern vernetzen. So können beispielsweise Vertretungen viel besser organisiert werden.“

Ein weiteres Problem ist, dass Kindertagespflege und Kita nicht kostengleich sind, und die Eltern somit kein wirkliches Wunsch- und Wahlrecht haben. „Ganztagesschulen sind kostenfrei, die Kindertagespflege dagegen nicht“, prangert Sibylle Schober an. In die Kritik gerät aber auch die geringe Bezahlung von Tagesmüttern. „Die Vorarbeit geschieht immer außerhalb der bezahlten Zeit“, macht Tabea Lau auf das Problem aufmerksam. „Austausch mit den Eltern, aufräumen und putzen, das ist alles unbezahlt.“ Sie wünscht sich deswegen eine bessere Finanzierung und stärkere Öffentlichkeitsarbeit.

Auch Andreas Schwarz spricht sich für eine höhere Wertschätzung der sozialen Arbeit aus. „Wer gute soziale Strukturen erstellt, wird weniger wertgeschätzt als ein Autobauer. Die Arbeit mit Menschen schlägt sich zwar nicht im Bruttoinlandsprodukt nieder, ist aber mindestens genauso viel wert.“ Sein Ziel ist, die Tagespflege zu professionalisieren und die Bedingungen für Tageseltern zu verbessern.