Kinderstimmen hallen durch die leeren Flure der ehemaligen Teck-Realschule. Dort, wo früher Jugendliche Mathe oder Englisch gebüffelt haben, trifft sich montags bis mittwochs im Raum des Brückenhauses eine „Maxi-Sprachlerngruppe“, die zum Ziel hat, Flüchtlingskindern eine Art Kindergartenalltag zu ermöglichen. In Kirchheim fehlten zuletzt rund 200 Kindergartenplätze. Die Stadt Kirchheim versucht, alle Kinder unterzubringen, hat aber große Mühe, weil Erzieherinnen fehlen, Kita-Neubau-Projekte teils stagnieren, teils viel Zeit brauchen, und die Zahl der Flüchtlinge weiter steigt. Kaum ist eine Lücke gestopft, tut sich schon wieder die nächste auf, berichtet eine Beobachterin.
Für viele Kinder von Geflüchteten aus Syrien, der Ukraine oder Afghanistan bedeutet das ganz praktisch: Wenn sie in die Schule kommen, werden sie zuvor niemals einen deutschen Kindergarten von innen gesehen haben. Sprachförderung, das Erlernen sozialer Kompetenzen, Vorschultraining – all das wird, über das, was im Elternhaus stattfindet hinaus, niemals stattgefunden haben. Die Startchancen dieser Kinder sind damit ungleich schlechter als die ihrer Altersgenossen, die in den Genuss eines Kindergartenplatzes gekommen sind. Diese Perspektive hat Ehrenamtliche des Arbeitskreises Asyl, Hauptamtliche der Bruderhaus-Diakonie, die Initiative „Starkes Kirchheim“ sowie eine Mitarbeiterin der Abteilung Bildung der Stadt Kirchheim so erschüttert, dass im Frühling die Sprachlerngruppe aus dem Boden gestampft wurde. „Für uns ist das ein Herzensthema“, betont Theresa Ringwald vom Chai-Zentrum der Bruderhaus-Diakonie. Immerhin elf Kinder, darunter vier Vorschulkinder, kommen seit Mai in den Genuss von Förderung.
Insgesamt betrachtet mag das Projekt ein Tropfen auf den heißen Stein sein, doch für die Kinder, die sich an diesem Morgen in der Teck-Realschule eingefunden haben, macht es einen Riesenunterschied. Keines von ihnen ist Muttersprachler. Die meisten Jungen und Mädchen stammen aus der Ukraine, jeweils eins kommt aus Mazedonien, der Türkei und dem Kosovo. Betreut werden sie von der hauptamtlichen Leiterin Olga Izotova, die aus Sibirien stammt, der ukrainischen Erzieherin Yuliia Nizhnikova und Zuhra Fetrati, einer afghanischen Mutter. Die drei werden von Ehrenamtlichen unterstützt. Auch die Eltern sind mit im Boot und begleiten die Gruppe immer donnerstags beim Ausflugstag. Der Besuch verschiedener Spielplätze, des Brückenhaus-Gartens SNEG, der Stadtbücherei und der Bastion standen bereits auf dem Programm. Sogar einen Blick vom Rathausturm durfte die quirlige Truppe schon werfen. Im Spielgruppen-Alltag wird gebastelt, gespielt, geforscht, vorgelesen, auf dem Spielplatz getobt oder Fußball gespielt. Am Tag des Pressetermins säen die Erzieherinnen mit den Kindern Kresse ein, weil einige Jungs von den Gurken auf dem heimischen Balkon erzählt haben. „Da sind alle ganz begeistert dabei“, sagt Olga Izotova.
Die Pädagogin hat keinen einfachen Job übernommen, denn keins der Kinder sprach zu Anfang Deutsch oder war mit Kindergarten-Ritualen vertraut. Der Morgenkreis endete nicht selten im Chaos, zuhören, sitzen bleiben oder Hände waschen funktionierten nicht. „Mein Ziel war, ein bisschen Struktur in die Gruppe zu bringen. Die Struktur wird die Kinder im Alltag und im Kindergarten begleiten“, sagt Izotova. Mittlerweile hätten die Kinder schon gute Fortschritte gemacht. Mit den Vorschulkindern trainiert Izotova in einem gesonderten Raum deutsch und ist zufrieden. „Sie können sich schon vorstellen und ein bisschen über sich erzählen“, sagt sie. Beim Lieder singen würden die Kinder immer öfter mit einstimmen. „Manche trauen sich noch nicht so, aber man merkt ihnen an, dass sie innerlich mitsingen“, sagt Izotova und lacht.
„Starkes Kirchheim“ finanziert das Projekt
Finanziert wird das Projekt aus Spenden, die zum allergrößten Teil von der Kampagne „Starkes Kirchheim – Allen Kindern eine Chance“ kommen. „Das ist der größte Betrag, den wir jemals ausgegeben haben, und es war die schnellste Entscheidung“, sagt Vertreterin Christine Marin. Ohne „Starkes Kirchheim“ gäbe es das Projekt heute nicht, davon sind Renate Hirsch und Marianne Gmelin vom Arbeitskreis Asyl überzeugt. „Rein ehrenamtlich hätten wir keine Chance gehabt“, sagt Hirsch.
Die Stadt Kirchheim stellt die Räumlichkeiten und Material zur Verfügung, außerdem setzt sich Diana Eichengrün von der Abteilung Bildung für das Projekt ein. Sie ist bei der Stadt zuständig für die Integration geflüchteter Familien und weiß deshalb, welche Kinder keinen Kita-Platz haben.
Das Modellprojekt läuft vorerst bis August, soll nach dem Willen der Verantwortlichen jedoch fortgesetzt werden. Allerdings ist die Finanzierung noch nicht gesichert. adö