Schon der Weg zum Blumenladen von Anne-Kathrin Faiß ist ein Erlebnis der besonderen Art: Ein enger Rindenmulch-Pfad schlängelt sich durch ein grünes Dickicht, das fast überquillt vor kunstvollen, floralen Exponaten und Deko im Shabby-Chic-Stil. Neben alten Fensterläden und Leitern finden sich frische Blumen und Gestecke, aber auch alte Töpfe und Metallkörbe. „Verwunschen“ würden die einen sagen, „verwildert“ die anderen.
Anne-Kathrin Faiß polarisiert – umso mehr, nachdem sie im vergangenen Jahr mit der Stadt Kirchheim aneinandergeraten war und nach vielen Jahren ihren Standplatz auf dem Wochenmarkt räumen musste. Zu dem Streit gekommen war es, als sich die Reuderner Floristin konsequent geweigert hatte, auf dem Markt im Freien eine Maske zu tragen, obwohl die Stadt dort eine Maskenpflicht verhängt hatte. Die Auseinandersetzung spitzte sich zu, der Fall landete vor Gericht.
Es herrscht „Burgfrieden“
Jetzt ist das Verfahren abgeschlossen. Es herrscht „Burgfrieden“, wie es Alexander Roth, der Anwalt von Anne-Kathrin Faiß, formuliert. Trotzdem steht fest: Die 43-Jährige kehrt nicht auf den Kirchheimer Wochenmarkt zurück – zumindest nicht im kommenden Jahr. „Ich hatte die Möglichkeit, mich um einen Standplatz für 2023 zu bewerben, aber ich habe darauf verzichtet“, sagt sie.
„Kirchheim ist aus meiner Sicht nicht mehr frequentiert“, begründet die Floristin ihre Entscheidung. Auch der Wochenmarkt sei nicht mehr, was er mal war. „Er pulsiert nicht mehr“, ist ihr Eindruck. Ganz besonders falle ihr das auf, weil sie jetzt in anderen Städten Fuß gefasst habe. „Ich habe Standplätze auf den Wochenmärkten in Waiblingen und Winnenden sowie in Ulm“, erzählt Anne-Kathrin Faiß. Vor allem das Remstal hat es ihr angetan: „Die Märkte dort sind so schön“, schwärmt sie.
Die Kritik am Konzept und an der Attraktivität ihres Wochenmarktes möchte die Stadt Kirchheim unterdessen so nicht stehen lassen. „Es ist kein nachlassendes Interesse seitens Kunden oder Bewerbern an den Märkten in Kirchheim zu bemerken“, stellt der Kirchheimer Pressesprecher Robert Berndt auf Anfrage klar. Nicht zuletzt der Wollmarkt in diesem Jahr habe gezeigt, „dass die Kirchheimer Märkte sich in Sachen Attraktivität nicht zu verstecken brauchen“.
Stelle des Marktmeisters ist vakant
Was die Stadt einräumt: Ihre Schlagkraft im Bereich der Märkte lässt derzeit zu wünschen übrig. Das hat personelle Gründe. „Die Stelle des Marktmeisters ist seit nahezu einem Jahr und trotz zweimaliger Ausschreibung unbesetzt – das ist auch für die Stadtverwaltung unbefriedigend“, so Robert Berndt.
Die Entscheidung, sich nicht mehr um einen Standplatz auf dem Kirchheimer Markt zu bewerben, hat sich Anne-Kathrin Faiß nicht leicht gemacht. „Die Wege sind jetzt weiter. Ich habe 300 Euro Spritkosten pro Woche“, sagt sie. Nicht zu vergessen auch der zeitliche Aspekt: „Ich gehe morgens um 3 Uhr aus dem Haus, fahre auf den Großmarkt und dann weiter zu den Märkten.“ Um 15 Uhr schließt sie dann ihren Laden in Reudern auf.
Überzeugt ist sie davon, dass Kirchheim ohne ihre florale Handwerkskunst um eine Attraktion ärmer geworden ist. „Ich war der Star auf dem Wochenmarkt, und mein Stand eine Augenweide“, sagt Anne-Kathrin Faiß.
Dass sie sich nicht um einen Standplatz für 2023 auf dem Kirchheimer Wochenmarkt bewerben möchte, nimmt man im Rathaus zur Kenntnis. Robert Berndt betont aber, dass die Floristin keine Benachteiligung zu erwarten hat: „Sollte sie sich anders entscheiden, wird über ihre Bewerbung genauso entschieden wie über jede andere auch.“
Neuordnung des Markts
Dass sie für das aktuelle Jahr keinen Standplatz bekommen hat, hängt nach Auskunft der Stadt nicht mit der Auseinandersetzung zusammen, sondern mit einer „organisatorischen Neuanordnung“ der Marktstände. „Es änderte sich der Standplatz einiger Markthändler, und es konnten auch zwei neue Marktstände begrüßt werden“, so Robert Berndt.
Da man Jahresgenehmigungen erteile, werde jedes Jahr neu über die Zuteilung der Plätze entschieden. „Dabei finden vor allem die Aspekte Sortiment, Regionalität, Eigenerzeugung und Zuverlässigkeit Berücksichtigung.“ Gebe es mehr Bewerbungen als Standplätze, so müssten Absagen erteilt werden. „Dabei kann es auch passieren, dass Markthändlerinnen wie Frau Faiß nicht zum Zug kommen“, so Robert Berndt. Eine Begründung, mit der sich die Floristin abfinden muss. „Dagegen konnten wir nicht mit einstweiliger Verfügung ankämpfen“, sagt der Anwalt von Anne-Kathrin Faiß, Alexander Roth.
Es gab Beschwerden von Besuchern
Nach wie vor verteidigt die Stadtverwaltung auch die Entscheidung, der Floristin vergangenes Jahr aufgrund von Verstößen gegen die Maskenpflicht ein temporäres Betretungsverbot erteilt zu haben. „Angesichts der damaligen pandemischen Lage mussten bei Gefahr im Verzug Sofortmaßnahmen ergriffen werden“, erläutert Pressesprecher Robert Berndt. Die Stadt habe lediglich Vorgaben der Landesverordnung durchgesetzt. Dazu komme, dass Anne-Kathrin Faiß mit ihrer Weigerung, eine Maske zu tragen, auch in der Öffentlichkeit für Unruhe gesorgt habe. „Damals kam es mehrfach zu Beschwerden von besorgten Besucherinnen und Besuchern des Marktes und anderen Marktbeschickern“, so der Pressesprecher.
Anne-Kathrin Faiß setzt nun darauf, dass ihre Kirchheimer Stammgäste ihr auch ohne Marktstand treu bleiben. Die Öffnungszeiten ihrer floralen Werkstatt hat sie auf 20 Uhr ausgeweitet, um abseits vom Wochenmarkt Stammkunden aus Kirchheim und Umgebung mit Blumen versorgen zu können. An den Wochenenden liefert sie Blumenschmuck für Hochzeiten und Feste aus, zudem organisiert sie Sonderaktionen, wie ihre Adventsausstellung von 17. bis 21. November. „Ich bin auf die Frequenz in meinem Laden angewiesen, sonst kann ich mich nicht halten“, sagt die Floristin.