„Man ersäuft in Musik!“ Diese Beobachtung des Dichters Heinrich Heine über das Musikleben in Paris um 1850 brachte es auf den Punkt. Am Freitagabend gab es dazu zum Auftakt des Sommerprogramms in der Stadtbibliothek Kirchheim eine fulminante Verbindung von Literatur (Sprecher: Burghard Engel) und Musik (Martin Engel: Klavier). Die zahlreichen neugierigen Besucherinnen und Besucher ließen sich auf eine kulturelle Zeitreise ein. Büchereileiterin Carola Abraham und ihr Team hatten für eine in jeder Hinsicht ansprechende Atmosphäre gesorgt: Eine locker bestuhlte Eingangshalle, ein einladendes Buffet und zwei erfahrene Künstler, Vater und Sohn, die literarische Zeugnisse und zeitgenössische Musik miteinander verbanden, so dass man ohne Umschweife in die Zeit um 1850 eintauchen konnte.
Treffen musikalischer Giganten
Franz Liszt und Frédéric Chopin traten sich gegenüber und ihre Persönlichkeit wurde in Texten von Heinrich Heine beleuchtet, deren treffende Pointen die Zuhörenden immer wieder zum gelösten Lachen verleiteten. Martin Engel, der hochkarätige Pianist des Abends, startete die Reise mit einem Zwischenstopp bei Claude Debussys „Images I“ (1904). Nur noch sehr schwache Verbindungen zur vorausgegangenen Romantik waren die Merkmale seiner früh-impressionistischen Musik: Klangfarbenspiel, Schweben und Atmosphäre. Melodische Fragmente lagen unter einem langen Klangteppich, dessen Muster dem Pianisten einiges abverlangten. Schon bei diesen Auftaktstücken bewies Martin Engel, dass er das qualitativ schlichte Klavier trotzdem zum Klingen bringen konnte. Ein Könner wie er findet sich eben auf jedem Instrument zurecht.
Ab jetzt wechselten sich Frédéric Chopin und Franz Liszt ab. Burghard Engel stellte zunächst, auf Heines Texte zugreifend, Franz Liszt vor. In „Les jeux d’eaux à la Villa d’Este (1877) wurde man mit einem komplizierten Klanggemälde überrascht, das bei den Hörenden Angst und Seligkeit zugleich auslöste, wie es Heine schon damals konstatierte. Die Souveränität des Künstlers durchzog wie selbstverständlich das anspruchsvolle Werk. Dem gegenüber stand Chopin, dessen Virtuosentum durch seine musikalische Poesie überstrahlt wurde. Er wurde als Ton-Dichter wahrgenommen und bewundert, dessen Musik neue Blicke auf die Wirklichkeit eröffnen konnte, wenn man sich ihrem Zauber lauschend hingab.
Ein Pianist in Hochform
Martin Engel hatte zunächst Chopins Ballade f-moll opus 52 (1842) ausgewählt, in der überzeugend von einem lebensverändernden Ereignis erzählt wird. Mit einem behutsamen Tempo eröffnete er Chopins Zwischenwelt und vermied es, sie mit Virtuosität zuzuschütten. Dafür erntete er zu Recht erste Bravorufe. Nach der Pause ging es mit einem ergreifenden Trauermarsch unter dem Titel „Funérailles“ von Liszt weiter. Liszt schrieb ihn 1849 nach der Niederschlagung der Revolution. Gewichtig und spannungsgeladen schraubte sich der Klagegesang über Ostinato-Reihen hoch bis zum heroischen Schluss. Der Pianist ließ das dramatische Werk in einem hauchzarten Schlussmotiv verhallen. Bei seinen abschließenden Würdigungen spürte man beim Sprecher dessen Vergnügen an Heines witzigen, doppelbödigen Bemerkungen, das auch das begeisterte Publikum erfasste. In zwei genialen Schlusstücken von Liszt und Chopin bewahrheitete sich das Urteil von Carola Abraham: „Ich weiß nicht, ob dieses gute alte Klavier jemals sowas in seinem Leben erlebt hat.“

