Kirchheim. Mit tief in die Stirn gezogener Schirmmütze und dicken Handschuhen sitzt ein heute 33-jähriger irakischer Asylbewerber auf der Anklagebank am Stuttgarter Landgericht. Er soll in Kirchheim aus sexuellen Motiven drei Frauen angegriffen und verletzt, dazu Polizeibeamte geschlagen und seine Haftzelle zerstört haben. Nun muss der Mann zwei Jahre und sieben Monate ins Gefängnis. Verurteilt wurde der 33-jährige mehrfach Vorbestrafte schon im April dieses Jahres vom Schöffengericht in Kirchheim.
Die Vorfälle, um die es ging, waren in dieser Ersten Gerichtsinstanz so gravierend, dass es eine Freiheitsstrafe über zwei Jahre und sieben Monate ohne Strafaussetzung zur Bewährung setzte. Doch dagegen legte der 33-Jährige Berufung ein, mit dem Ziel, doch noch Bewährung zu bekommen, sodass sich jetzt das Stuttgarter Landgericht mit dem Fall befassen musste. Peinlich für ihn ist zudem, dass auch der Staatsanwalt Berufung einlegte. Er fordert eine noch höhere Strafe.
Auf offener Straße, so der Vorwurf, habe der Angeklagte Anfang dieses Jahres jeweils in leicht angetrunkenem Zustand in Kirchheim junge Frauen verfolgt und sie aus sexuellen Motiven angegangen und angegriffen. Drei solche Fälle hatte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft angeklagt – dazu noch einen tätlichen Angriff gegen Polizeibeamte, Sachbeschädigung und dreifache Körperverletzung sowohl der Polizei als auch der Frauen. Bei seiner Festnahme hatte er sich gewaltsam gewehrt und später in der Haftzelle des Kirchheimer Reviers große Schäden angerichtet. Die Einzelheiten der sexuell motivierten Tatliste wurde in dem gestrigen Berufungsverfahren vor der 41. Strafkammer am Stuttgarter Landgericht nur nichtöffentlich beraten – aus Gründen der Schutzbedürftigkeit der weiblichen Opfer. Doch laut dem ersten Urteil soll es sich um gravierende Fälle handeln.
Der Angeklagte stammt aus dem Irak, wie er sagt, ohne Berufsausbildung und er sei in seinem Land politisch verfolgt gewesen. Deshalb flüchtete er im Jahre 2019 zunächst in die Türkei, von dort aus nach Griechenland und dann nach Deutschland. Sein Asylantrag ist bis heute nicht entschieden. Er lebt von Sozialhilfe in Höhe von 492 Euro, plus Mietzuschuss, zusammen mit einer Freundin in Stuttgart. Seine Unterkunft in Kirchheim musste er verlassen.
Zu den Tatvorwürfen machte der Mann vor Gericht keine Angaben. Er sagte nur aus, dass er immer reichlich Alkohol trinkt. Täglich etwa zehn große Bierdosen. Alkohol verschaffe ihm Wohlgefühl. Außerdem sieht er im Alkohol auch eine Art Schmerzmittel, da er wegen einer Augenkrankheit ständig von Schmerzen geplagt sei. Angesichts dieser kuriosen Angaben weist der Vorsitzende Richter den 33-Jährigen erneut darauf hin, dass gegen ihn hier auch das Strafmaß über die schon verhängten zwei Jahre und sieben Monate hinaus bis zu vier Jahre erhöht werden könne, falls er seine Berufung nicht zurücknimmt.
Nach kurzer Beratung mit seinem Verteidiger vor der Tür des Gerichtssaals kommt ein Einlenken. „Wir nehmen die Berufung zurück“, sagt der Anwalt. Auch der Staatsanwalt verzichtet auf seine Strafverschärfung, sodass es letztlich bei den zwei Jahren und sieben Monaten Haft ohne Bewährung bleibt.