Frauenhaus
Frauenhaus Kirchheim: Hoffnungen an das neue Gewalthilfegesetz

Die Plätze reichen längst nicht mehr aus: Immer mehr Frauen suchen Schutz vor der Gewalt in den eigenen vier Wänden. Ein neues Gewalthilfegesetz soll bundesweit Verbesserungen bringen.

Foto: Symbolfoto Adobe Stock

Es gibt nicht immer Polizei-Sirenen oder sichtbare blaue Flecken, keine laut knallenden Türen oder den einen Moment, in dem plötzlich alles kippt. Nicht jede Gewalt in einer Beziehung ist laut und kündigt sich an. Oft beginnt sie leise, im Vertrauten, Alltäglichen. Mit einem Blick, der stumm macht oder einem Satz, der sich als Sorge tarnt: „Ich will doch nur, dass du sicher bist.“

Zahlen aus Kirchheim

74 Frauen haben sich 2024 an das Frauenhaus in Kirchheim gewandt, weil sie in ihrem Zuhause Gewalt ausgesetzt waren. Weil der Mensch, der einst vertraut war, zur Gefahr wurde. Über 100 Kinder mussten miterleben, was besser keiner mitmachen sollte. In 88 Fällen beriet das Team, nachdem der Täter polizeilich vorübergehend der Wohnung verwiesen wurde. Über 120 Kinder waren involviert. 66 Frauen mussten abgewiesen werden, weil die Plätze im Frauenhaus belegt waren. Die Zahlen stammen aus dem Jahresbericht 2024.

Wir sind eigentlich toujours ausgebucht.

Kerstin Bergdorf
Auch im Kirchheimer Frauenhaus sind die Kapazitäten an ihren Grenzen.

 

Zwölf Plätze für Frauen und Kinder hat die Einrichtung in der Teckregion, getragen vom Verein „Frauen helfen Frauen“. Die Adresse des Schutzhauses ist geheim. Wer nicht aufgenommen werden kann, muss weiterziehen, manchmal in andere Städte oder gar andere Bundesländer. Oder die Frau bleibt bei Freunden, Verwandten oder, im schlimmsten Fall, in der alten Wohnung. Auch in Kirchheim und Umgebung übersteigen die Anfragen die Kapazitäten. Beratung ist jederzeit möglich, und manchmal ergeben sich kurzfristig neue Plätze. Die Mitarbeiterinnen wägen gemeinsam mit den Frauen ab, wie gefährlich die Situation ist – und wo Schutz möglich sein könnte. Der beginnt oft dort, wo niemand sie kennt.

Leise Gewalt

„Nicht jeder Schlag ist laut“, weiß Kerstin Bergdorf aus dem Kirchheimer Frauenhaus. Aber mancher trifft so gezielt, dass einem die Worte fehlen. Gewalt beginnt nicht immer mit Fäusten. Sie kann kontrollieren, einschüchtern, beschämen – sich in stummen Blicken zeigen, im ständigen Griff aufs Handy oder im Auslöschen sozialer Kontakte. 

Gewalt ist körperlich, psychisch, digital oder ökonomisch – oft alles zugleich. Der Täter löscht Postfächer, greift auf digitale Kalender zu, setzt die Frau finanziell unter Druck. Ein kleiner Tracker in der Jacke des Kinds – und zwei Tage später steht der Ex vor der neuen Tür, 300 Kilometer entfernt. „Spuren von Anfang an verwischen, andere Handynummer, neue Adresse. Und dann aufpassen, dass kein Jugendamt, keine Schule und auch kein Gericht versehentlich etwas verrät“, rät die Sozialpädagogin. 

Nicht nur Entfernung zählt. Auch digitale Spuren können gefährlich werden.

Sozialpädagogin Kerstin Bergdorf kennt die Lücken im Schutz.

 

Genau dort setzt das neue Gewalthilfegesetz an. Es soll garantieren, dass alle Betroffenen Schutz bekommen, unabhängig von Einkommen, Herkunft oder Aufenthaltsstatus. Und dass sie genau dort Hilfe finden, wo sie leben. Wenn es vor Ort keine sichere Möglichkeit gibt, soll der Schritt in eine entfernte Einrichtung leichter werden und nicht zusätzlich durch Bürokratie erschwert werden. 

Er bleibt, sie geht

2024 lebten 17 Frauen und 19 Kinder im Frauenhaus Kirchheim. Es ist meist die Frau, die geht – mit den Kindern, und kaum mehr als dem, was in eine Tasche passt. Der Täter bleibt in der Wohnung. Gerade die Zeit danach ist oft die gefährlichste. Ein Muster, das sich durch Deutschland zieht: In über 80 Prozent der Fälle ist der Täter ein aktueller oder ehemaliger Partner. 2023 zählte das Bundeskriminalamt 360 vollendete Tötungsdelikte an Frauen. Geschlechtsspezifische Gewalt trifft Frauen, weil sie Frauen sind. Kontrolle, Abwertung oder Gewalt passieren nicht zufällig, sondern gezielt. Der Femizid ist die letzte Eskalationsstufe: wenn eine Frau getötet wird, weil sie sich trennt, widerspricht oder nicht mehr gehorcht. In anderen Worten, statistisch gesehen: Jeden Tag muss eine Frau in Deutschland ihr Leben lassen, weil ein Mann es nicht erträgt, die Kontrolle über sie zu verlieren.

Kirchheim ist in vielem ein Positivbeispiel. Der Landkreis spielt hervorragend mit, erzählt Bergdorf. Das ermöglicht einen offenen Zugang zum Frauenhaus, auch für Frauen aus anderen Regionen. Anderswo endet die Aufnahmegrenze an der Landkreisgrenze, auch wenn Gefahr besteht. „Wir hatten eine Frau, die musste verlegt werden, weil sie von einem Familienmitglied des Täters am Bahnhof gesehen wurde. Der andere Landkreis hat gesagt: Tut uns leid, wir dürfen sie nicht nehmen.“

Hilfe auf dem Papier

Die ersten Vorgaben für ein flächendeckendes Hilfesystem treten 2027 in Kraft, der Rechtsanspruch folgt 2032. Der Bund stellt dafür 2,6 Milliarden Euro bis 2036 bereit. Einheitliche Finanzierung, klare Zuständigkeiten, ein Ende des Flickenteppichs – das ist das Ziel. „Es geht von der Theorie in die Praxis. Die Stolpersteine werden sich noch zeigen“, sagt Bergdorf.

Bislang finanzieren sich Frauenhäuser unterschiedlich. Das in Kirchheim ist mischfinanziert: Es bekommt einen Tagessatz für die psychosoziale Betreuung vom Landratsamt Esslingen und die Mietkosten der Frauen über das Jobcenter – sofern die Frauen nicht erwerbstätig sind. Der Rest kommt aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen, Projektmitteln. „Das deckt das Minimum. Alles darüber ist Krafteinsatz. Ich würde diese Zeit lieber mit den Frauen und Kindern verbringen – das erhoffe ich mir vom neuen Gesetz.“

Zurück ins Leben

Im Kern ist die gesamte Frauenhaus-Tätigkeit Hilfe zur Selbsthilfe. Sie soll das Zurück für die Frauen in ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. „Die Arbeit hier ist anstrengend“, erzählt Bergdorf. „Aber wunderschön, weil wir sehen, wie Frauen zurück ins Leben finden, und wie Kinder das erste Mal wieder lachen.“