Neun Schuljahre sollen an den Gymnasien in Baden-Württemberg wieder Standard werden: Nachdem der Druck zu groß wurde, lenkte die Landesregierung ein und will nun ein neues Modell für G9 erarbeiten. G8 soll aber teilweise weiterhin möglich sein.
Das Thema G8/G9 wird auch an den Gymnasien in Kirchheim diskutiert. Viele der Schülerinnen und Schüler bewerten die aktuelle Entscheidung der Stuttgarter Regierungskoalition positiv. „Ich finde es gut und sinnvoll, dass ein neues Modell erarbeitet und nicht unverändert das aus den 90er-Jahren übernommen wird“, betont beispielsweise Lilli Hähnel, erste Schülersprecherin des Ludwig-Uhland-Gymnasiums (LUG). Freilich dauere es eine gewisse Zeit bis zur Umsetzung. Trotzdem sei ein neues Modell „auf Dauer effektiver“ als das aktuelle G8. Das bestätigt die zweite LUG-Schülersprecherin Roxana Nazer: „Zu einem G9-Modell zurückzukehren, ist ein richtiger Gedanke“ – und dieses Modell zu verbessern, „damit es dieses Mal auch längerfristig hält“, sei noch sinnvoller. Die Hauptsache sei, dass sich die Schülerinnen und Schüler „in ihrer Schullaufbahn wohlfühlen“ – was beim jetzigen G8-Modell bei vielen aufgrund des großen Stressfaktors nicht der Fall sei.
Auch Katharina Hennig, eine von drei ersten Schülersprechern des Schlossgymnasiums, begrüßt die neue Entwicklung, weil sie selbst gerne zu G9 zurückkehren würde. „Ich finde es gut, dass an einem neuen G9-Modell gearbeitet werden soll.“ Schließlich schneide das deutsche Schulsystem sowieso oft schlecht ab, verweist sie auf die aktuelle Pisa-Studie. „Da ist es nur sinnvoll, dass man auf die heutigen Standards und Veränderungen eingeht.“ Julian Reuff, ebenfalls erster Schülersprecher des Schlossgymnasiums, sieht das ähnlich: „Ich kann verstehen, dass man nun wieder auf G9 umstellt“. Nach der immer größer werdenden Kritik am G8-System habe man verstanden, dass das jetzige Modell „nicht richtig funktioniert und sehr stressig ist“. Jetzt müsse man abwarten, wie das neue System aussehen soll.
Trotzdem ist sich Julian Reuff nicht sicher, ob eine Rückkehr zu G9 wirklich absolut notwendig war. Eine Überarbeitung von G8 hätte seiner Meinung nach vermutlich auch ausgereicht. Denn der Grundgedanke, dass die Schülerinnen und Schüler bereits nach acht Jahren Gymnasium ins Berufsleben einsteigen können, mache durchaus Sinn. „Vielleicht hätte es gereicht, sich noch mal den Unterrichtsstoff anzuschauen und ihn zu reduzieren auf die wirklich wichtigen Themen. Unnötiges wegzulassen, hätte das Problem wahrscheinlich auch gelöst.“
Auch Lilli Hähnel hätte es begrüßt, wenn beim jetzigen G8 der Lehrplan verkürzt worden wäre. Denn: „So wie es jetzt ist, ist es Stress pur – vor allem in den Klausurenphasen“. Die Schülersprecherin betont, dass die meisten Schülerinnen und Schüler des LUG das G8-Modell ablehnen: Die SMV des LUG habe noch vor der Entscheidung der Landesregierung eine Umfrage zu G8 und G9 auf Instagram initiiert. Das Ergebnis: 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler sprachen sich für G9, 40 Prozent für G8 aus. Der Hauptgrund sei, dass der Stress und Druck zu groß seien. „Wir haben extrem viel Mittagschule schon ab der fünften Klasse“, gibt Lilli Hähnel zu bedenken. Hinzu kommen das Nacharbeiten und Lernen für Klassenarbeiten zuhause sowie das Erledigen von Hausaufgaben und Vorbereiten von Präsentationen. „Wenn man den Dreh nicht raushat und sich nicht konsequent an einen bestimmten Zeitplan hält, bleibt das Privatleben auf der Strecke.“
„Wir haben drei Mal in der Woche Mittagschule. Teilweise sind wir erst um 18 Uhr zuhause“, berichtet Roxana Nazer, die die zehnte Klasse besucht. Manche bräuchten darüber hinaus noch Nachhilfeunterricht, um mithalten zu können. Da noch Hobbys nachzugehen oder Freunde zu treffen, sei für viele kaum mehr machbar. Die Folge des andauernden Drucks seien bei manchen Kindern psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen. Aufgrund der großen Belastung mache sich auch Müdigkeit bemerkbar, hat Julian Reiff beobachtet: „Die bemerke ich zum Teil bei mir selbst und erlebe sie auch bei anderen“.
„Niemand kann zehn Stunden am Tag 100 Prozent abliefern. Das hat seine Grenzen“, gibt Katharina Hennig zu bedenken. Sie habe oft das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler vor allem die Oberstufe als besonders anstrengend empfinden und kein Raum bleibe, um sich über die Zukunftsperspektiven Gedanken zu machen. Dies könne dazu führen, dass viele nicht direkt nach dem Abitur eine Ausbildung oder ein Studium beginnen. „Deshalb denke ich, dass ein Jahr mehr Schulzeit etwas Druck nehmen kann.“