Kirchheim
Gaiserplatz dient als Vorbild

Problemgruppen Die Stadt Esslingen möchte das Bahnhofsquartier aufbessern. Ein Konzept, angelehnt an den Kirchheimer Gaiserplatz, sieht vor, dass sich Randgruppen in einem Container treffen können. Von Petra Pauli

Noch sind die Maßnahmen, die den Esslinger Bahnhofsplatz attraktiver und sicherer machen sollen, wenig sichtbar. Hier ein paar Bäume in Pflanzkübeln, dort ein buntes Graffiti an der Unterführung. Der Kommunale Ordnungsdienst hat zudem an Wochenenden seine Präsenz erhöht. An Ideen mangelt es nicht, seit 2022 die Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement der Universität Tübingen im Auftrag der Stadt das Quartier unter die Lupe genommen hat.

Viel verspricht sich die Verwaltung von mehr sozialer Arbeit im Bahnhofsbereich. Dafür liegt nun ein konkreter Vorschlag vor. In der Fleischmannstraße soll ein Treffpunkt für Menschen entstehen, die im Fachjargon als „Dauersteher“ bezeichnet werden. Sie nutzen das Quartier als eine Art Wohnzimmer, um sich tagsüber dort aufzuhalten und sich mit Gleichgesinnten zu treffen. Die meisten von ihnen sind nicht obdachlos, sondern bereits an Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe angebunden, wie Janina Baaken, Geschäftsführerin der Heimstatt Esslingen, erläutert. Das Konzept für den Treffpunkt, so wie es jüngst im Sozialausschuss vorgestellt wurde, haben die Evangelische Gesellschaft Stuttgart (Eva) und die Heimstatt entwickelt. Die beiden gemeinnützigen Träger der Wohnungslosenhilfe in Esslingen hatten schon früh die Befürchtung geäußert, dass ihre Klientel bei der anvisierten Aufwertung des Bahnhofumfelds verdrängt werden könnte und sich eine betreute Anlaufstelle gewünscht. Ein Ort, an dem sie trinken dürfen und sich versorgen können. Ein Ort, der ihnen ein Stück mehr Sicherheit geben und für jeden offen sein soll.

In Kirchheim läuft mit der Guten Stube bereits ein ähnliches Modell, das die Esslinger Projektbeteiligten sich genau angeschaut haben. Wesentlicher Teil dieses Beratungs- und Hilfsprojekts ist ein umgebauter Kiosk am Gaiserplatz. „Unsere Bilanz ist sehr gut“, sagt Reinhard Eberst, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle. Die Nutzer, die sich in einem Verein zusammengeschlossen haben, müssen die Anlage eigenverantwortlich in Schuss halten. „Das ist kein Selbstläufer, aber es klappt“, so Eberst.

Zudem ist in Kirchheim Sozialarbeiter Markus Buck regelmäßig vor Ort. Sein Ziel sei es, Vertrauen aufzubauen und eine oft abgehängte Klientel wieder an das bestehende Hilfesystem anzubinden. Vieles ergebe sich aus dem lockeren Gespräch, es soll kein Überstülpen von Hilfe sein. „Wir knüpfen an das untereinander bestehende Netzwerk“, sagt er. Damit das weiter gelingt, müsse es aber auch nachhaltig sein. Nur noch bis nächstes Frühjahr wird das Projekt von der Aktion Mensch gefördert. Ob dann die Stadt bei der Finanzierung einspringt, ist offen. Der Gemeinderat hat die Diskussion auf Herbst verschoben.

Drogenraum könnte folgen

Trotzdem hat das Projekt Gasierplatz für Esslingen Vorbildcharakter. Auch in Esslingen will man Vor allem Personen mit Alkoholproblemen ansprechen. „Von denen kommen eher mal Pöbeleien, was das Unsicherheitsgefühl der Passanten verstärkt“, berichtet Janina Baaken. Sie hält es für denkbar, dass der Treffpunkt zu einem späteren Zeitpunkt in Kooperation mit der Suchthilfe noch um einen Drogenkonsumraum erweitert wird. Die künftigen Nutzer sollen viel in Eigenregie erledigen und Verantwortung übernehmen. So sollen sie etwa fürs Putzen zuständig sein. Geplant ist ein Tagestreff mit überdachtem Vorplatz, Toilette, Mikrowelle, Kühlschrank, Spiel- und Sitzgelegenheiten.

Die Pilotphase sollen Sozialarbeiter unterstützen. Die beiden Träger planen im ersten Halbjahr mit einer 40-Prozent-Stelle, die später auf 20 Prozent reduziert wird. Der geringe Umfang sei beabsichtigt und entspreche dem Wunsch der Betroffenen nach möglichst viel Freiraum. Bilanz soll nach einem Jahr gezogen werden. Für die Personalkosten soll zunächst eine Projektförderung beantragt werden.

Die Stadt Esslingen stellt den Container mit Platz für rund 15 Personen und das Gelände zur Verfügung. Als Standort wurde eine kleine Schotterfläche in der Fleischmannstraße ausgesucht, neben dem Rewe-Markt und der Beratungsstelle des Gemeindepsychiatrischen Diensts. Details werden mit dem Baurechtsamt abgestimmt. „Wir wollen das Projekt nicht versteckt hinter den Gleisen haben“, betonte Sozialbürgermeister Yalcin Bayraktar, „diese Menschen wollen und dürfen im öffentlichen Raum sein.“

Konflikte frühzeitig ausräumen

Die Reaktionen im Esslinger Sozialausschuss waren positiv. Abgestimmt über das Projekt wird voraussichtlich erst im Herbst. „Ein Herzensprojekt von uns wird hier gut umgesetzt“, lobte Aglaia Handler (CDU). Ihre Fraktion hatte einen eigenen Antrag für eine institutionalisierte Anlaufstelle gestellt. Annette Silberhorn-Hemminger (Freie Wähler) verwies auf mögliche Konflikte mit Nachbarn oder Lieferanten. „Diese Dinge muss man frühzeitig ansprechen“, sagte sie. Bayraktar sieht in dem Treffpunkt aber auch eine große Chance, Menschen zu integrieren. „Der Bahnhof ist ein anonymer Knotenpunkt, dagegen gibt es hier dann Beschwerdeführer und Adressaten“, sagte er.