Kirchheim
Gedichte sollen anstecken

Lyrik Ingrid Dolde und Michael Stülpnagel haben in der Kirchheimer Stadtbücherei das Buch „Friedrich Hölderlin und seine Orte“ vorgestellt. Von Ulrich Staehle

Eigentlich hätte die Veranstaltung zu Hölderlins 250. Geburtstag ja bereits im Mai stattfinden sollen, doch Corona machte dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Nun jedoch konnte Ingrid Stojan vom Literaturbeirat in der Kirchheimer Stadtbücherei bei einer sonntäglichen Matinee und unter Coronabedingungen doch noch Ingrid Dolde begrüßen, ihres Zeichens Vorstand des Nürtinger Hölderlin- vereins.

„Gedichte können anstecken und sollen anstecken“, betonte Ingrid Dolde gleich zu Beginn. Dazu soll auch das Buch „Friedrich Hölderlin und seine Orte“ beitragen, das 2016 erschien und zum Jubiläum wieder aufgelegt wurde. Insgesamt 13 Orte werden dabei von verschiedenen Autoren in Bildern und Texten vorgestellt. Autorin und Mitherausgeberin Ingrid Dolde stellte die verschiedenen Lebensstationen Hölderlins in Kirchheim im Alleingang vor. Begleitet wurde sie von Michael Stülpnagel, der zu jedem Ort passende Gedichte rezitierte.

Friedrich Hölderlin wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Und die Referentin räumte diesbezüglich gleich mit einem Irrtum auf: Hölderlin hätte nämlich nie unter Armut gelitten. Seine Familie gehörte zum wohlhabenden Stand der „Ehrbarkeit“ und Friedrich hätte eigentlich ein Leben lang von den Zinseinnahmen leben können. Sein Gedicht „Da ich ein Knabe war“ von 1796 beschreibt ebenfalls eine unbeschwerten Kindheit.

Nach dem frühen Tod von Hölderlins Vater heiratet seine Mutter 1774 Weinbauer Johannes Christoph Goc, woraufhin die Familie nach Nürtingen zog. Gerade Nürtingen, so die Referentin, galt als Hölderlins ständiger Zufluchtsort und Lebensmittelpunkt. Die Nürtinger Lateinschule, die zu den besten des Landes gehörte, war streng, die Liebe zu Luise Nast jedoch äußerst intensiv.

Nach der sehr strengen Klosterschule in Denkendorf und der noch liberaleren in Maulbronn war darüber hinaus vor allem das Tübinger Stift prägend für die weitere Entwicklung Hölderlins. Von dem Ziel, Pfarrer zu werden - wie von der Mutter gewünscht - verabschiedete sich Hölderlin. Er legte inzwischen den Fokus darauf, Poet zu werden und dichterischen Ruhm zu erwerben.

Auf Schillers Vermittlung hin trat Hölderlin eine Hauslehrerstelle in Waltershausen (Thüringen) bei Charlotte Kalb an. Dolde betonte, dass Hauslehrerstellen bei Absolventen des Stifts geläufig waren. Hölderlin habe die Stelle nicht aus finanziellen Gründen angetreten, sondern um Dichten zu können. Es entstehen Oden, Elegien und der Briefroman „Hyperion“. Der Hauslehrer scheiterte aus verschiedenen Gründen. Ebenso brach er abrupt einen Aufenthalt in Jena ab, wo er sich mit dem Philosophen Fichte beschäftigte.

1795 kehrte Hölderlin für ein halbes Jahr nach Nürtingen zurück und kümmerte sich um die Veröffentlichung seiner Werke. Er sei in dieser Phase kein einsamer Melancholiker gewesen, er habe lediglich melancholische Phasen gehabt, beschreibt Dolde.

Gescheiterte Liebe

Allgemein bekannt sei, dass sich Hölderlin bei seiner nächsten Hauslehrerstelle in Frankfurt ab 1796 unsterblich in Susette Gontard verliebt hat, die Ehefrau des Hausherren und Bankiers Gontard. Er fand in ihr seine Gestalt gewordene Diotima, Geliebte des Hyperion. Die innige Freundschaft und Liebschaft beruhte auf Gegenseitigkeit, musste aber scheitern. Doch die Begegnung hat „himmlisch schöne“ Liebesgedichte bewirkt, unter anderem Lyrikklassiker wie „An die Parzen“. Populär machte Hölderlin ausgerechnet die Musik, Brahms‘ Vertonung von „Hyperions Schicksalslied“ verbreitete sich rasant.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Nürtingen tritt Hölderlin 1801 eine Hauslehrerstelle in der Schweiz an, danach in Bordeaux, von wo er 1802 verwirrt zurückkommt. 36 Jahre lebt er anschließend noch im Tübinger Hölderlinturm - aber keineswegs isoliert, sondern in regem Kontakt mit seinen Besuchern. Er war längst Kult und seine Gedichte populär. Zum Abschluss der Veranstaltung legte Michael Stülpnagel ein Finale hin mit „Heimat“, „Froh kehrt der Schiffer heim“ und dem bekanntesten Gedicht überhaupt, mit der „Hälfte des Lebens“.

Er ließ dabei vergessen, welch komplizierte Versmaße Hölderlin verwendet, machte die Gedichte professionell durchsichtig und verursachte dadurch sicherlich viel Ansteckung beim Publikum. Wer jetzt vom Hölderlin-Fieber infiziert ist, dem rät Ingrid Dolde, nach den Flyern von Nürtingen-Info zu greifen, zu „In Hölderlins Stadt“ und „Hölderlins Landschaft“. Wer die Routen abwandert, kann dem Zusammenhang von Ort und Poesie selbst nachspüren - und tut dabei gleichzeitig etwas für die geistige und körperliche Gesundheit.