Es war keine Kuscheldiskussion, der sich fünf Kandidaten für den Landtagswahlkreis Kirchheim gestellt haben. Eingeladen zu dem Online-Treffen haben die Initiatoren der „Kirchheimer Erklärung“ gegen Ausgrenzung, Demokratieverachtung, Diskriminierung, Muslimfeindlichkeit, Rassismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Ihr Anliegen ist es, dass diese Themen auch auf Landesebene bearbeitet werden.
Der ehemalige Kirchheimer Gemeinderat Willi Kamphausen und Yakub Kambir, Vorsitzender der Kirchheimer Sultan-Ahmet-Moschee, zwei Unterzeichner der Erklärung, übernehmen die Moderation. Yakub Kambir fragt den Kandidaten der Partei mit dem Sonnenblumen-Logo gleich unverblümt, warum er die Kirchheimer Erklärung noch nicht unterschrieben habe. Andreas Schwarz verweist auf Stapel von Korres- pondenz in der Kanzlei, reagiert aber direkt und unterschreibt die ausgedruckte Erklärung „live“.
Der gebürtige Ötlinger Kambir hakt gleich nach und fragt, ob es Andreas Schwarz fair finde, dass seine - Kambirs - türkischstämmige Mutter nach 30 Jahren in Deutschland immer noch nicht für den Gemeinderat kandidieren dürfe, ein neu zugezogener EU-Bürger aber sehr wohl. Schwarz entgegnete, dass es dafür noch keine politische Mehrheit gebe, er sich dafür aber einsetze - auch in der kommenden Legislatur-Periode.
Kambirs Vergleich der türkischen Muslime mit den Schwarzen in den USA lässt Andreas Schwarz aber nicht stehen: „Der hinkt.“ Die türkischen Muslime seien eine sehr heterogene Gruppe und viele seien gut integriert. Man wolle aber noch mehr Brücken bauen, sagt er.
Yakub Kambirs Vehemenz erklärt sich auch aus einem Vorfall der jüngeren Vergangenheit. Nach den Anschlägen von Hanau vor einem Jahr schrieb der Teckbote über Michael B., Mitglied einer rechts-terroristischen Vereinigung, die weitere Anschläge auf Moscheen in kleinen und mittleren Städten plante. Yakub Kambir wohnt in derselben Straße wie B. Dieser Artikel habe mit zur „Kirchheimer Erklärung“ geführt, erklärt Hans Dörr von der Kirchheimer Attac-Gruppe.
Eigene Erfahrungen kann der Linken-Kandidat Hussein Sahin einbringen, der seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland lebt. Er verweist auf unterschiedliche Chancen im Bildungssystem: „Das hat was mit Rassismus zu tun.“ Struktureller Rassismus habe sein Leben begleitet, sagt der Kirchheimer, und der komme aus der Mitte der Gesellschaft. Das merke man bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche. Vor allem fehle es an unabhängigen Stellen, die Hilfe für Betroffene anbieten, wenn sie etwa Diskriminierung bei der Polizei erfahren haben. „Ein Anti-Rassismusbeauftragter für das Land ist zu wenig“, sagt er. Willi Kamphausen fände einen unabhängigen Ombudsmann wichtig. In diese Richtung argumentiert auch CDU-Kandidatin Natalie Pfau-Weller: Sie ist für eine Stabsstelle für Antirassismus auf Landesebene.
FDP-Kandidat Ralph Kittl wundert sich über die Diskussion in Kirchheim: „Ich kannte diese extreme Trennung vorher nicht, finde es eher erschreckend“, sagt der aus Böblingen stammende, nach eigenen Angaben Versandleiter mit „multikutureller Personalverantwortung“. Er habe das Nebeneinander der Kulturen in seiner Heimat als normal erlebt. Die „Kirchheimer Erklärung“ werde er aber auch unterzeichnen. Einen interessanten Einwurf macht Zuhörer Erdal: Ihm gefällt der Begriff „Integration“ nicht. „Damit zementiert man doch eine Ausgrenzung und stigmatisiert die Menschen. Mich ärgert es, wenn mir einer sagt, du bist gut integriert. Besser wäre doch ein Teilhabebeauftragter, der sich unabhängig von der Herkunft um diskriminierte Menschen kümmert.“
Zu den Unterzeichnern der „Kirchheimer Erklärung“ - schon vor der Online-Konferenz - gehört auch der SPD-Kandidat für den Landtag, Andreas Kenner. Sein Beitrag könnte ein Fazit des Abends sein: „Ich bin gegen jede Form von Gewalt und gegen jede Form von Extremismus“, sagt er.