Wenn ein Bürgermeister gewählt wird wie zuletzt in Lenningen, ist eine Wahlbeteiligung unter 50 Prozent mittlerweile Normalität. Die bundesweiten Umfrageergebnisse über eine sinkende Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland schlägt zunehmend auf das Lokale durch. Eine Politikverdrossenheit stellt auch Jesse Burgmann in seinem Umfeld zuweilen fest. „Das kommt durch die Bundespolitik, wird auf das Lokale runtergebrochen.“ Der Weilheimer Gemeinderat und Gastronom kann das auch verstehen. „zu komplizierte Vorgänge. Branchenfremde sollen etwas entscheiden
und Dinge innerhalb einer Legislaturperiode verändern. Das klappt eh nicht“, sagt er.
Dennoch hat sich der gebürtige Bielefelder als „Reingeschmeckter“ in seiner Wahlheimat politisch engagiert. Seine Motivation ist schnell erklärt: „Ich hab mein Geschäft in Weilheim, wir haben alle vier Kinder hier bekommen. Dann doch lieber bekennen, mitgestalten und die Zukunft der Kids in die „richtige“ Bahn lenken. Statt zu meckern, wollte er sich lieber engagieren.
Burgmann empfiehlt den Leuten, sich zu engagieren: „Auf lokaler Ebene kannst du etwas gestalten, auf Bundesebene und dann noch mit Parteibuch, da geht nix mehr.“ Was nicht bedeutet, dass es lokalpolitisch nicht auch Frustrationen geben kann. „Man braucht Geduld: „Du musst viele Wege gehen, um eine Kleinigkeit zu erreichen.“ Die Bürokratie ist oft zu umständlich, dauert zu lange.
Holzmadens Bürgermeister Florian Schepp nimmt die Demokratiemüdigkeit in Deutschland zwar wahr, erlebt in seinem Berufsalltag auf kommunaler Ebene aber keine Entfremdung – im Gegenteil. „Auf unserem Bürgermeisterbänkle bekomme ich von den Bürgerinnen und Bürgern teils richtig gute Ideen. Man könnte ja denken, dass es den meisten nur um ihre persönlichen Probleme geht, aber bestimmt 75 Prozent machen sich Gedanken um Dinge, die viele angehen, wie zum Beispiel die Verkehrssituation im Kernort“, sagt er. Der Schultes legt in seiner Gemeinde daher auch Wert auf Bürgerbeteiligung und freut sich, wenn die Gemeinderatssitzung gut besucht ist. „Das ist keine Selbstverständlichkeit.“
Wo sich die Bürger auf lokaler Ebene beteiligen sollen, ist für Schepp auf Bundesebene die parlamentarische Demokratie das Maß der Dinge. Volksentscheide hält er daher nur in konkreten Fragen für sinnvoll, nicht als Basiselement. „Ich befürchte, dass viele Leute, die keine Politprofis sind, zu emotional und damit spontan reagieren, sagt er.
Die Legitimationskrise der großen Politik sieht er im fehlenden Fachwissen und den Parteikarrieren, wo auch Proporz und Quote wichtige Faktoren sind. „Da entscheiden Leute, die im richtigen Leben nie in der Verantwortung standen, und kommunizieren schlecht. Das führt bei den Wählern zu nachvollziehbarer Frustration.“ Mehr Quereinsteiger in der Politik würde er begrüßen, aber die hätten im aktuellen System kaum eine Chance.
Das kann dazu führen, dass Volksvertreterinnen und -vertreter ein schlechtes Image haben. „Ich nehme Politiker nicht als Vertreter der Bevölkerung wahr, sondern als diejenigen, die einem ihre Meinung überstülpen“, sagt die Lenningerin Angela Renz, die auch die „Klüngelvorwürfe gegen Habeck sehr spannend“ findet. Bei der Bürgermeisterwahl hat sie aber ihre Stimme abgegeben. „Ich bin in der DDR aufgewachsen, es ist mir wichtig, mein Recht wahrzunehmen“, betont sie.
Privat engagiert sie sich in der Flüchtlingshilfe, ist dort aber auch an ihre Grenzen gekommen. „Die Ressourcen sind ausgeschöpft, aber das wird von der Politik ignoriert. Der Rest der Kette muss nur noch funktionieren.“ Sich selbst politisch zu engagieren, kann sie sich nicht vorstellen. Sie glaubt, dass es in der Politik zu wenig um Menschen geht – sie möchte sich weiterhin lieber bürgerlich engagieren.
In der öffentlichen Diskussion wünscht sich Angela Renz mehr Mut, Ecken und Kanten zu zeigen und weniger Belehrung: „Viele Journalisten wollen uns sagen, was wir zu tun haben“. Daraus zieht sie ihre persönliche Konsequenz: „Ich schaue kein Fernsehen, das Leben ist zu kurz um sich darüber aufzuregen“, sagt sie und lacht. Den Medienschaffenden gibt sie noch mit auf den Weg, dass „die Leute nicht blöd sind“.
Einer, der einfach den Sprung in die aktive Politik gewagt hat, ist der Lenninger Philipp Beckel. Gegen den amtierenden Bürgermeister Michael Schlecht war kurz vor Toreschluss ins Rennen um das Bürgermeisteramt gegangen ist und als „Nobody“ beachtliche 43,53 Prozent der Stimmen geholt hat. „Viele haben mir im Nachhinein gesagt, dass sie mich gewählt hätten, aber sie sind gar nicht zur Wahl gegangen“, erinnert er sich.
Den Leuten gehe es insgesamt recht gut, vermutet er. Auch wenn sie sich etwa über das Auftreten des Amtsinhabers in kleiner Runde beschwerten: Neben dem fehlenden Leidensdruck für Veränderungen gebe es auch ein recht großes Verständnis für die Grenzen der Lokalpolitik. „Die Leute verstehen, dass einem an vielen Stellen die Hände gebunden sind. Das lässt aber auch viele denken, es ändert sich eh nichts.“
Von Politikern generell wünscht sich Philipp Beckel, dass sie auch mal an die Grenzen des Machbaren gehen und etwas riskieren, um Verbesserungen herbeizuführen – „nicht immer nur Gesetze vorschieben.“ Dass Eidechsen oder Halsbandschnäpper Bauprojekte erheblich verzögern oder gar verhindern können, gehört für ihn zu den Auswüchsen eigentlich sinnvoller Regelungen.
Sein Engagement will er künftig weiter auf die Vereine richten, die Bürgermeisterwahl in Owen interessiert ihn nicht. „Ich bin Lenninger, wenn ich Bürgermeister werde, dann nur hier. Dann warte ich lieber nochmal acht Jahre.“
Demokratiezufriedenheit ist gesunken
Nur noch die Hälfte (51 Prozent) der Deutschen ist laut einer Infratest-Umfrage aus dem Oktober 2022 mit der Art und Weise, wie Demokratie in Deutschland funktioniert, zufrieden - das sind 13 Punkte weniger als im Oktober 2020. Zuletzt wurde ein so niedriger Wert im Mai 2011 gemessen. 47 Prozent der Deutschen geben an, weniger oder gar nicht zufrieden zu sein, ein Plus um zwölf Punkte.
Besonders stark ist die Demokratiezufriedenheit in Ostdeutschland gesunken: Nur noch jede oder jeder Dritte (35 Prozent) sagt, er oder sie sei mit der Art und Weise, wie Demokratie funktioniert, zufrieden. 63 Prozent geben an, weniger beziehungsweise gar nicht zufrieden zu sein. In Westdeutschland geben 54 Prozent an, zufrieden zu sein, 44 Prozent weniger oder gar nicht.
Die große Mehrheit ist dennoch von der Demokratie als Regierungsform überzeugt: 88 Prozent geben an, Demokratie sei ganz allgemein eine gute Regierungsform. pm/ARD