Kirchheim
Geschichten aus anderen Welten

Veranstaltung Bei der „Nacht der Kulturen“ in der Stadtbibliothek gibt ein Begegnungsabend mit Kirchheimern aus unterschiedlichen Herkunftsländern Einblicke in andere Lebenswirklichkeiten. Von Andrea Barner

Nicht spektakulär und ohne große „Aha-Effekte“ kommt die „Nacht der Kulturen“ daher. Es ist ein Begegnungsabend der leisen Töne in der Kirchheimer Stadtbücherei: Sechs Menschen mit Migrationshintergrund erzählen als „lebende Bücher“ Geschichten von ihren Erfahrungen an der Schnittstelle von zwei und mehr Kulturen.

Ihre Lebenswege könnten kaum unterschiedlicher sein: Sie stammen aus der Türkei, dem Iran, Spanien, Kasachstan und Algerien. Theaterszenen, Musik und leckere Häppchen runden den Abend ab. Und das Wichtigste: Es entstehen Gespräche, denn die Veranstaltung soll keine kommunikative Einbahnstraße sein. Etwa 50 Besucherinnen und Besucher sind gekommen, um zuzuhören, Fragen zu stellen und von eigenen Erfahrungen zu berichten. Viele tauschen sich auch aus mit der Kirchheimer Integrationsbeauftragten Christine Bald und einigen Mitgliedern des Integra­tionsausschusses.

Deutsch ist der Schlüssel

Egal, ob die Menschen schon vor vielen Jahren als „Gastarbeiterkinder“ oder „Spätaussiedler“ eingewandert sind, oder ob Kirchheim ein vorläufiges Ziel ihrer Flucht ist: Heimisch werden konnten oder können sie letztlich nur, wenn sie die deutsche Sprache beherrschen. Darin sind sich alle einig. Ohne Sprache ist Kommunikation und ein soziales Umfeld schwierig bis unmöglich. Soheil Husseini ist Kurde aus dem Iran und spricht nach zwei Jahren ganz passabel deutsch. Einerseits wartet er auf die Bewilligung seines Asylantrags und bemüht sich intensiv um einen Ausbildungsplatz. Andererseits vermisst er seine Familie und seine Heimat. Neue Freunde hat er erst wenige gefunden. Dass der Neuanfang in einem fremden Land und einer anderen Kultur eine Herausforderung darstellt, das ist ihm vollkommen klar. „Vielen Flüchtlingen geht es nicht gut“, sagt er. „Sie haben Angst und Depressionen, für viele ist es ein dauernder Kampf“.

Geschafft hat es dagegen Hamza Saidi. Er kam als Teenager mit seinem Vater aus Algerien nach Deutschland. Heute fühlt er sich beiden Kulturen zugehörig, feiert Weihnachten genauso wie Ramadan und das Zuckerfest. „Aber arabisch schreiben kann ich kaum noch“. Hamza ist mit einer deutschen Frau verheiratet, mit ihrem gemeinsamen Baby spricht er arabisch „damit er das lernt“. Er berichtet auch von seinem Vater: „Damals gab es noch keine Deutschkurse für ihn, die wenigsten Menschen wussten überhaupt, was ein Asylbewerber ist.“

Bingül Savas aus Schlierbach kam vor 46 Jahren als Zehnjährige aus Istanbul. „Die grünen Wiesen und die vielen Blumen am Haus“ sind ihr als erste Eindrücke in Erinnerung geblieben. Und dass der Vater nach der Arbeit mit den Kindern raus in die Wälder gegangen ist. Sie ist hier zu Hause und pendelt nach Lust und Laune zwischen den Kulturen, kocht zum Beispiel türkische Spezialitäten genauso gerne wie deutsche oder italienische. „Man nimmt eben von allen Seiten das Schöne mit“. Türkische Mädchen durften früher viel weniger als die deutschen, das war oft ärgerlich. Heute versteht sie ihre Eltern, die im fremden Land einfach Angst um ihre Kinder hatten. „Sie wussten ja nicht, wie die Deutschen ticken.“

Als „Kirchheimerin mit türkischen Wurzeln“ fühlt sich Merve Shirokov. Die Sozialpädagogin ist hier geboren und aufgewachsen. „Die türkische Kultur kenne ich nur von dem, was meine Eltern machen, und von diversen Urlauben in Antalya“, schmunzelt die Ex-Gemeinderatskandidatin. Merve Shirokov ist mit einem Russen verheiratet. In eine kulturelle Schublade will sie sich nicht stecken lassen.

Häppchen vom türkischen Buffet

Viele Geschichten, viele Kapitel aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln werden in der Stadtbücherei, jeweils in kleiner Runde, erzählt. Es darf ruhig auch neugierig gefragt werden, manchmal wird diskutiert - moderiert jeweils von einem Mitglied des Kirchheimer Integrationsrats. Gegen einen Obulus gibt es Häppchen vom türkischen Buffett, das die Jugendgruppe der Sultan-Ahmet-Moschee aufgebaut hat. „Die Zypressen“ bieten Kostproben einer Komödie. Das Stück ist noch nicht ganz fertig, die Theatergruppe der Flüchtlingsberatung „chai“ studiert es gerade erst ein. Es geht dabei um Wohnungsnot und darum herum ranken sich allerlei „komische“ Geschichten, etwa die der oberschlauen Immobilienmaklerin, die einem Ehepaar für teures Geld eine wahre Bruchbude andreht. Zum Ausklang des Abends spielen Daniel Hughes und Johannes Hopf vom Kirchheimer Musiktrio Swingology bekannte Stücke und Eigenkompositionen im Stil der 30er und 40er Jahre. Es war ein informativer und unterhaltsamer Abend.