Ärzte zeigen sich genervt von der Besserwisserei mancher Patienten
Google funkt dazwischen

Wer krank ist, geht meist erst ins Netz und dann in die Praxis. Bei der Behandlung hilft das nicht: Oft beharren Patienten auf falschen Internetdiagnosen.

Kirchheim. Wer kennt das nicht: Der Kopf dröhnt, der Bauch schmerzt oder die Kraft schwindet, der Arzt sitzt nicht gleich nebenan. Und selbst wenn die Praxis gerade geöffnet und noch im selben Haus ist: Im Wartezimmer hoffen sicherlich zig Menschen auf zehn Minuten Zeit des Mediziners. – Eine Tortur, die sich leicht umgehen lässt. Denkt man.

Im Internet häufen sich Experten und Tipps. Per Mausklick kann man sich von Seite zu Seite hangeln und kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Die Welt der Krankheiten ist riesig. Die Chancen, dass einen tatsächlich eine der exotischen, lebensgefährlichen oder unheilbaren Krankheiten erwischt hat, eher klein.

Für viele Patienten ist das Internet eine praktische erste Hilfe, wenn sie sich schlecht fühlen. Tatsächlich kann es die Arbeit von Ärzten erheblich stören. „Viele Leute, die vor ihrem Arztbesuch gegooglet haben, sind unbelehrbar“, erzählt zum Beispiel Allgemeinmediziner Werner Hildebrand, der seine Praxis in Kirchheim hat. Teilweise seien die Patienten kaum von ihren selbst gestellten Internetdiagnosen abzubringen. Den Streit hat er schon einige Male bis zum bitteren Ende führen müssen: Am Ende stand die Trennung. Laut ihm sind es vor allem Patienten über 50 Jahre, die sich gerne vorab informieren.

Mit dem Problem ist Hildebrand nicht alleine. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung hat herausgefunden, dass mehr als die Hälfte der Ärzte informierte Patienten zumindest problematisch findet. 45 Prozent behaupten, dass so unangemessene Erwartungen erzeugt werden, die die Arbeit der Ärzte belasten.

Das Internet suggeriert häufig schwere Krankheiten. Wer „Kopfschmerzen“ eingibt, kommt schnell bei „Hirntumor“ raus. Haben es Ärzte mit informierten Patienten zu tun, müssen sie diese nicht selten erstmal auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Die Ärzte beobachten, dass diese Entwicklung zunimmt. Vor wenigen Jahrzehnten hätten die Patienten ihnen noch die Füße geküsst, heute würden sie eher auf Netdoktor vertrauen. So formuliert es zumindest Werner Hildebrand.

Ein gewisses Misstrauen gegenüber Medizinern nimmt auch Dr. Beate Scherbacher wahr, die in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Kirchheim arbeitet: „Die Leute wollen so auch überprüfen, ob ihr Arzt noch auf dem neuesten Stand arbeitet“, mutmaßt sie. Seit etwa fünf Jahren kommt jeder zehnte Patient mit Google-Wissen zu ihr. Patienten stellen selten selbst die richtige Diagnose. Doch es gibt auch sie: die positive Seite.

Ob neugierige Patienten im Netz fündig werden, hängt auch davon ab, auf welchen Seiten sie landen. Homepages von gesundheit.de bis zur Apotheken-Umschau informieren relativ umfassend, und auch bei Wikipedia finden Nutzer genügend Hintergrundwissen – meistens jedoch in komplizierte Fachsprache verpackt. Das Portal Netdoktor bietet sogar einen Symptom-Checker an, in dem man sich in wenigen Fragen zu seiner persönlichen Diagnose klicken kann. Die Seite gehört zu den führenden Online-Gesundheitsportalen und wird von Experten betrieben. Trotzdem warnt es selbst davor, keinen Besuch beim Arzt ersetzen zu können.

So weit es geht, will Beate Scherbacher die Vorteile nutzen, die solche Seiten der Behandlung bringen können. Kommt jemand mit einer chronischer Erkrankung, rät sie „Googlen Sie doch mal nach einer Selbsthilfegruppe“, landet jemand einen Zufallstreffer im Netz, sagt sie „Herzlichen Glückwunsch!“ Es sei nicht alles schlecht an der neuen Aufklärung, von der inzwischen alle Generationen profitieren wollen. Oft erlebt sie, dass Vorschläge von informierten Patienten ihre Arbeit auch beleben können, sofern sie realistisch sind. In allen anderen Fällen bedeutet die Googlerei für sie vor allem eins: Mehr Arbeit – und Zeit, die es unter Ärzten selten zu viel gibt.