Gotthilf Kurz gehört zu den großen Meistern der Einbandkunst“, stellte Kunsthistorikerin Barbara Honecker zu Beginn ihrer Ausstellungseinführung fest. Die Messlatte derart hoch zu legen, war nicht nur den Erfordernissen einer Laudatio geschuldet, denn die erlesene Qualität der Exponate konnte den Besuchern schwerlich entgehen.
Zahlreiche Leihgaben hat Kuratorin Honecker im Auftrag des Städtischen Museums Kirchheim für die Retrospektive fachkundig zusammengetragen. Neben privaten Leihgebern sind es die Württembergische Landesbibliothek, das städtische Museum Kirchheim und die Gemeinde Dettingen, die diese Werkschau zum 100. Geburtstag von Gotthilf Kurz ermöglichen.
Die Auswahl berücksichtigt nicht nur künstlerische Artefakte. Auch historisch Bedeutsames ist zu sehen: Entwürfe, Fotos oder persönliche Anweisungen. Manches davon war noch nie zu sehen. So erfährt Kurz nicht nur posthume Würdigung als innovativer Meister des Buchbindehandwerks, präsentiert wird auch sein künstlerisches Schaffen als Fotograf und Maler.
Im Alter von 14 Jahren begann der in Reudern geborene Kurz bei der Ötlinger Lederfabrik Spieth eine Ausbildung zum Handschuhmacher. Bereits in dieser Zeit entstand der Wunsch, Leder auch schöpferisch zu gestalten. Nach dem Kriegsdienst besuchte er in Offenbach die Fachklasse für Schriftgestaltung. In Dettingen, dem Heimatort seiner Frau Maria, richtete sich Kurz als zunehmend gefragter Buchbinder und Grafiker ein. Weitere Studien führen ihn an die Kunstakademie Stuttgart und schließlich ins Zentrum der europäischen Buchkunst, dem berühmten „Collège Technique Estienne“ in Paris. In die 1950er-Jahre fällt auch die Gründung einer Pfadfindergruppe in Dettingen. „Die Beschäftigung mit jungen Menschen und die Vermittlung christlicher Werte war Kurz ein wichtiges Anliegen“, machte Barbara Honecker deutlich.
Ohnehin war das „Buch der Bücher“ für den bekennenden Christen ein lebenslanges Thema. Neben Entwürfen zu biblischen Motiven sind auch bibliophil gestaltete Privatdrucke des Propheten Jesaja und der Weisheit Salomos ausgestellt. Buchrohlinge der 1920er-Jahre, die Kurz von der legendären „Bremer Presse“ erwerben konnte, boten Gelegenheit, sich mit dem Kanon der Weltliteratur auseinanderzusetzen, etwa mit Homers Ilias und Odyssee. „Hier wird sein Streben, die Einheit von Einband und Inhalt zu erlangen, ganz besonders deutlich“, betonte Honecker. Exemplarisch verwies sie auf den Handeinband zu Dichtungen des Minnesängers Walther von der Vogelweide. Dabei handele es sich um einen „redenden Einband“ – ein ästhetischer Leitbegriff im Schaffen von Gotthilf Kurz.
Der Ruf an die Münchner Akademie für Graphisches Gewerbe 1965 erweitert die Palette seiner Materialien. Zwei Einbände aus Plexiglas dokumentieren die Experimentierfreude dieser Schaffensphase. Die 70er-Jahre bringen Kurz nicht nur große Aufträge und Ehrungen, sie gehen auch mit einer Intensivierung der Malerei einher: „Der malerisch gestaltete Einband wurde wichtiger und verdrängte die Beschäftigung mit dem Ledereinband“, zeichnete Honecker diese Entwicklung nach.
Nach der Pensionierung im Jahr 1988 macht die Aquarellmalerei den Schwerpunkt seines Schaffens aus. Neben mediterranen Impressionen stellt die Retrospektive meisterhafte Ansichten der Schwäbischen Alb, die in stiller Reduktion die herbe Schönheit dieser Landschaft vor Augen führen.
Info Die Ausstellung „Gotthilf Kurz – Buchbinder und Künstler zum 100. Geburtstag“ ist noch bis 8. September in der Galerie der Kreissparkasse Kirchheim zu sehen. Kuratorenführungen mit Barbara Honecker finden am 3. August um 16 Uhr sowie am 9. August und 4. September jeweils um 14 Uhr statt. Eine Anmeldung unter 0 70 21/50 23 77 ist erforderlich.