Randnotiz von Thomas Zapp über vielsagende Autokennzeichen.
GT-Schock in Esslingen

Obwohl ich quasi per Herkunft als „Biertrinkender Idiot“ gelte (KfZ-Kennzeichen BI für Bielefeld) habe ich ein ausgesprochenes Faible für Autokennzeichen entwickelt. Zu den natürlichen Auto-Feindbildern meiner Jugend in Westfalen gehörten die Fahrer des benachbarten und sehr ländlich geprägten Kreises Gütersloh (Kennzeichen: GT). Diese wurden in ihren getunten Golf GTI oder Opel Kadett als „Groß-Trottel“ oder „Garagen-Tapezierer“ bezeichnet, weil sie lieber die Autobehausung gestalteten als fahren zu lernen. Ihre beschränkten Fahrkünste stellten die Unfähigen aus „Gützel“ (leicht spöttischer Witzname für diesen Kreis) regelmäßig bei ihren Besuchen in der „Großstadt“ Bielefeld unter Beweis.

Nun hat die Corona-Pandemie Autofahrern mit diesem Kennzeichen wegen des unverwantwortlichen Handelns eines namentlich bekannten Großschlachters im Kreis Gütersloh zusätzliche Unbill beschert. Angeblich ist es in Bielefeld zu nicht unerheblichen Sachbeschädigungen von Fahrzeugen mit „GT“-Kennzeichen gekommen. Anlass war die Wut darüber, dass diese das Corona-Virus „importieren“ könnten. Mancher Gütersloher soll dann versucht haben, mit weißen Klebestreifen aus dem „T“ ein „I“ zu machen. Gesehen hab ich bei meinem letzten Besuch allerdings kein einziges „Gießener“ Auto mit Kennzeichen GI.

Und nun das: Vor dem Supermarkt meines Vertrauens an meinem Wohnort Esslingen stehen gleich zwei Lieferwagen mit dem berüchtigten Kennzeichen. „GT“ in unserem Stadtteil? Dürfen die das? Hatten die nicht einen Lockdown? Muss ich Corona-Alarm auslösen, die Arbeitskollegen anrufen oder das Gesundheitsamt? Moment: Der Name eines großen Gütersloher Garagentor-Herstellers (den kennt man als Bielefelder) prangt auf dem Lack der Seitenwand. Vermutlich handelt es sich um das Service-Team einer hiesigen Filiale des bundesweit tätigen Unternehmens.

All das fällt mir noch rechtzeitig ein, bevor ich wutentbrannt mit dem teurem schwäbischen Spezialwerkzeug die wehrlosen Fahrzeuge aus meinem ehemaligen Nachbarkreis malträtiere. Einigermaßen beruhigt fahre ich mit meinem Auto (Kennzeichen ES) zur Arbeit und fühle mich gut als „Ersatz-Stuttgarter“ oder „Entflohener Schwabe“. Klingt irgendwie besser als „Biertrinkender Idiot“.