Morgens im Bad kann es schon mal haarig werden. „Ich brauche inzwischen länger als meine Frau Ina“, verrät Ewald „Ede“ Weyrauch lachend. Vor rund drei Jahren hat der 56-Jährige seinen Drei-Tage-Bart einfach mal stehen lassen und schnell Gefallen an der wachsenden Gesichtsbehaarung gefunden. Über Facebook wurde er auf ein Bart-Seminar des Clubs „Belle Moustache“ aus Leinfelden-Echterdingen aufmerksam und meldete sich kurzerhand an. „Vor großen Events und Wettbewerben machen wir das öfter. Da trifft man sich bei einem Friseur, berät sich gegenseitig und tauscht Tipps aus“, erklärt Vereinsmitglied Wilfried Jezierny. Schließlich passe nicht jeder Bart zu jedem Gesicht. Und angesichts der Fülle erhältlicher Pflegeprodukte kann man schnell mal den Überblick verlieren.
„Ede“ Weyrauch ging also hin und war sofort integriert. „Einige haben gleich zu mir gesagt, ich könne doch bei der WM mitmachen“, erinnert er sich lachend. Die fixe Idee wurde schnell konkret, und ehe sich der Kirchheimer versah, saß er zwei Stunden lang im Salon Hauff, um sich die haarige Pracht im Gesicht auf Vordermann trimmen zu lassen. Mitunter tat das ganz schön weh, denn die Härchen in Nase, Ohren und auf den Wangenknochen wurden mit Heißwachs eliminiert. Schließlich ist so eine Bart-WM keine Spaß-Veranstaltung. „Da ging es hochprofessionell zu“, war der 56-Jährige schwer beeindruckt von der Organisation vor Ort. 330 Bartträger aus 28 Nationen, sogar aus Neuseeland, waren in das 22 000-Seelen-Städtchen gereist, um mit den beeindruckendsten Haargebilden im Gesicht auf Titeljagd zu gehen.
Für Ewald Weyrauch ging es am Samstag los. Dort musste er vor eine Vor-Jury treten, die Clubzugehörigkeit und die Kategorie checkte, in der er antreten wollte. „Erst wenn alles stimmt, bekommt man seine Teilnehmer-Karte und darf beim Wettbewerb starten“, erklärt der Kirchheimer. Am nächsten Tag stand er dann irgendwann tatsächlich auf der Bühne, beäugt von einer siebenköpfigen Jury und rund 400 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Halle. „Außerdem waren zwei Kameras auf mich gerichtet“, erzählt der Kirchheimer. Lampenfieber kennt „Ede“ übrigens nicht. „Ich bin eine Rampensau. Ich geh’ da mit Ruhepuls raus.“ Entsprechend cool trat der 56-Jährige auf, nahm in aller Ruhe seinen Hut ab, und sah jedem einzelnen Jurymitglied tief in die Augen. Das verfehlte seine Wirkung nicht. Auf Anhieb Sechster zu werden, ist schließlich gar nicht so einfach.
Einer, der das ganz genau weiß, ist Wilfried Jezierny aus Aichelberg. Er ist schon seit Jahren Mitglied im Verein „Belle Moustache“, hat schon an mehreren Wettbewerben teilgenommen und bei der WM in Burghausen den dritten Platz belegt. „Da ging es um einen halben Punkt, es war total eng“, erzählt der 72-Jährige, der dank seines Bartes schon in einem Hongkonger Einkaufszentrum den Nikolaus gegeben hat und in Texas vor mehreren Tausend Menschen auf der Bühne stand, was jeweils auch im Fernsehen und in der Zeitung kam. Auch auf den Philippinen war der Aichelberger schon im Weihnachtsmann-Kostüm zugange, außerdem war er zu Gast bei DSDS, im Fernsehgarten und bei „Immer wieder sonntags“. Er traf Andy Borg und trat mit den Vereinskameraden auf dem Oktoberfest vor der Band „Voxxclub“ auf. „In Venedig haben wir eine halbe Stunde gebraucht, um über die Rialtobrücke zu kommen, weil so viele Leute mit uns ein Foto machen wollten.“
Von nix kommt aber bekanntlich nix. So will ein prämierter Bart auch entsprechend gepflegt werden. Tägliches in Form Föhnen ist Pflicht, Pflege mit Ölen, Wachs oder das Styling mit Haarspray kommt noch dazu. „Manche haben ’ne ganze Flasche im Bart“, verrät Wilfried Jezierny. Wie die Haare auf dem Kopf auch, kann der Bart von Spliss befallen werden. Regelmäßige Friseurbesuche sind daher Pflicht. „Auch damit alles gepflegt aussieht“, sagt „Ede“, der alle drei bis vier Wochen im Salon Hauff zu Gast ist. „Man ist eben auch ein bisschen eitel geworden mit dem Bart“, sagen die beiden Herren und grinsen. Damit auch im Alltag jedes Härchen perfekt sitzt, haben sie sich verschiedene Strategien überlegt. „Honigbrot ist ein Problem. Das muss ich in kleine Stückchen schneiden“, verrät Wilfried Jezierny. Und den Kaffee mit Milchschaum trinken die beiden nur noch mit Strohhalm. „Sonst bleibt alles im Bart hängen“, erklärt „Ede“, während er ein Bild von sich sucht, auf dem er ohne Gesichtsbehaarung zu sehen ist. „Das ist schon ’ne krasse Typveränderung.“ Und wie es aussieht, ist diese erst mal auf Dauer, denn der Kirchheimer hat ein klares Ziel: „Der Bart wird noch länger, und ich will Weltmeister werden.“
Bart ist nicht gleich Bart
Der Club „Belle Moustache“ mit Sitz in Leinfelden-Echterdingen ist einer der erfolgreichsten Bart-Clubs der Welt. Etliche Mitglieder sind Weltmeister. Der Verein hat auch selbst Wettbewerbe ausgerichtet. Im Jahr 2004 und 2011 war es die Internationale Deutsche Bart-Meisterschaft, 2008 die Bart-Europameisterschaft und 2013 die Rekord-Bart-Weltmeisterschaft mit 331 Teilnehmern aus 24 Nationen. Die Vereinsmitglieder sind vielfältig aktiv und auch in den Medien präsent. Mit ihrem „Bart-Lied“ waren sie zuletzt beim Adventssingen der ARD mit DJ Ötzi zu sehen. Der Verein hat knapp 100 Mitglieder.
Die Bart-WM findet alle zwei Jahre statt. In fünf Über- und 28 Unterkategorien werden die schönsten Exemplare prämiert. Ewald Weyrauch trat in der Kategorie „Vollbart Barber Style“ an. Hierbei handelt es sich um einen in Form geschnittenen Vollbart, der am Haaransatz kurz gehalten und am Hals ausrasiert ist. Der Vollbart darf mit geringen Mengen Bartöl gepflegt werden, jedoch ohne Styling-Hilfsmittel. Der Oberlippenbart kann entsprechend den Schnauzbart-Klassen klassisch gestylt werden. Neben den haarigen Anforderungen bewertet die Jury auch den Gesamteindruck. Das führt dazu, dass manche WM-Teilnehmer eine regelrechte Show abziehen, kleine Zaubertricks zeigen oder ausgefallene Kleidung tragen. Infos gibt es auf myle.de/club-belle-moustache. sl