Der Landkreis Esslingen verfügt über eine gute fachärztliche Versorgung. Das ist die gute Nachricht aus dem Sozialministerium. Weniger erfreulich stellt sich die Situation bei den Hausärzten dar: Der Versorgungsgrad in Esslingen und Nürtingen liegt derzeit bei 90,9 und 93,9 Prozent. Das geht aus einer Antwort von Sozialminister Manne Lucha auf die Anfrage des Nürtinger FDP-Landtagsabgeordneten Dennis Birnstock hervor. In Kirchheim liegt die Quote bei immerhin 107,2 Prozent. Der Grenzwert zwischen Bedarfsdeckung und Überversorgung liegt bei 110 Prozent.
Lucha verweist darauf, dass „es bis heute landesweit keinen Planungsbereich gibt, für den nach den Maßstäben der Bedarfsplanrichtlinie eine Unterversorgung festgestellt wurde“. Was mit einfachen Worten nichts anderes ausdrücken soll als: Noch gibt es keinen Ärztemangel im Land. Doch die Lage wird sich in den nächsten Jahren verschärfen.
Ungünstige Prognosen
Die Aussichten sind düster: Im Jahr 2035 werden bundesweit etwa 11 000 Hausärzte fehlen. Das zeigt eine im Mai vergangenen Jahres vorgelegte Studie. Knapp ein Fünftel aller deutschen Landkreise werden dann hausärztlich unterversorgt sein – auch im Südwesten. Zwar werde der Rückgang im Kreis Esslingen wohl moderater ausfallen als in anderen Regionen Baden-Württembergs, wo teilweise mit 40 bis 50 Prozent weniger Hausärzten gerechnet wird. Aber der Studie zufolge könnte die Hausarztdichte im Kreis bis zum Jahr 2035 um 19 Prozent sinken. Aktuell sind hier nach Luchas Angaben 327 Hausärztinnen und -ärzte tätig – allerdings in immer weniger Praxen. Deren Anzahl fiel im Zeitraum von 2016 bis 2021 von 211 auf 193. Die Anzahl der Fachärzte beziffert der Minister mit Verweis auf die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) aktuell auf 562, die der Facharztpraxen auf 302.
In den vergangenen fünf Jahren haben laut Lucha 18 Praxen im Kreis keine Nachfolge gefunden. Und in Zukunft könnte es für Patienten noch schwieriger werden, einen niedergelassenen Arzt zu finden. Denn schon bald werden eine Reihe von haus- und fachärztlichen Praxen vom Netz gehen, weil sich die Mediziner in den Ruhestand verabschieden. Mehr als ein Drittel der Haus- und Fachärzte im Landkreis Esslingen ist jetzt mindestens 60 Jahre alt. Medizinischer Nachwuchs aber fehlt. Unter Studenten ist die Allgemeinmedizin häufig nicht mehr so attraktiv, da man als Facharzt oft mehr verdient. Zudem haben die Mediziner, die heute ins Berufsleben starten, andere Vorstellungen – viele scheuen eine 60-Stunden-Woche und wollen sich keine eigene Praxis aufhalsen. „Der vermehrte Wunsch nach Anstellung und Teilzeit“, räumt der Minister in seiner Stellungnahme ein, führe „trotz einer steigenden Anzahl an Ärzten zu dem Problem, dass nicht alle wegfallenden Stellen nachbesetzt werden können. Das gilt vor allem für den hausärztlichen Sektor.“
Für Birnstock sind das alarmierende Aussagen. „Wenn wir hier nicht nachsteuern, bekommen wir künftig ein massives Problem“, meint der FDP-Politiker und mahnt daher: „Wir müssen generell die Rahmenbedingungen für den Arztberuf unbedingt familienfreundlicher und attraktiver gestalten. Hierfür kann zum einen die Arbeitsteilung in Gemeinschaftspraxen oder eine Anstellung in Medizinischen Versorgungszentren eine Lösung sein. Zum anderen müssen Ärzte durch deutlichen Bürokratieabbau und die Nutzung digitaler Möglichkeiten entlastet werden .“
Birnstocks Meinung nach laufen die Programme der Landesregierung zur Förderung der Ärzteversorgung für den Kreis „weitestgehend ins Leere“. Lucha räumt in seiner Stellungnahme ein: „Die Gemeinden des Landkreises Esslingen gehören entsprechend der Einstufung durch den Landesentwicklungsplan, mit Ausnahme der Gemeinde Neidlingen, nicht dem ländlichen Raum an.“ Und nur der wird gezielt gefördert. Der Minister verweist aber auf das Förderprogramm „Ziel und Zukunft“ der KVBW, durch das im Landkreis Esslingen seit dem Jahr 2016 insgesamt vier hausärztliche und zwei fachärztliche Vorhaben finanziell gefördert wurden.
Dieses Förderprogramm macht jedoch auch sichtbar, dass im Kreis „bei einzelnen Arztgruppen die Versorgungssituation angespannt ist“, fügt Lucha hinzu. So gebe es „derzeit in diesem Programm jeweils einen hausärztlichen Förderplatz für die Gemeinden Aichwald, Bempflingen, Großbettlingen, Neckartailfingen, Neckartenzlingen und Neuffen“.
Wo können sich Ärzte niederlassen?
Bedarfsplanung Wo Ärzte gebraucht werden, regelt die Bedarfsplanung. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen prüft regelmäßig, welche Bereiche über- oder unterversorgt sind. Hausärzte werden kleinräumig geplant, Fachärzte großflächiger.
Ansiedlung In gesperrten Gebieten dürfen sich Ärzte, die gesetzlich Versicherte behandeln, nur niederlassen, wenn sie die Praxis eines Vorgängers übernehmen, im Jobsharing tätig werden oder sich anstellen lassen. In offenen Planungsbereichen sind Neugründungen von Praxen möglich.
Hausarztsitze Laut KVBW sind im Planungsbereich Esslingen rechnerisch 118,37 Hausärzte tätig, die Soll-Zahl liegt bei 130,5. Im Bereich Nürtingen sind es 62,75 Hausärzte, benötigt werden mindestens 67. Im Planungsbereich Kirchheim ist der Bedarf mit 72,25 Hausärzten bei einem Soll-Wert von 67,50 Medizinern gedeckt. eh