Kirchheim
Hebammen fehlt der Nachwuchs

Geburtshilfe Es mangelt an Hebammen. Die Ursachen sind vielschichtig, doch die Leidtragenden stehen fest: frischgebackene und werdende Mütter. Von Katharina Daiss

Das Arbeitshandy von Magdalena Daiss klingelt. Die Hebamme nimmt ab und hört die verzweifelte Stimme einer Frau am anderen Ende der Leitung. Sie ist schwanger. Zig Hebammen hat sie schon angerufen, keine kann sie betreuen. Das hier ist ihre letzte Hoffnung. Doch auch Magdalena Daiss hat keinen Platz mehr frei. Die Frau am Telefon bricht in Tränen aus. „Wo soll ich denn noch hin?“, fragt sie. Im Kopf geht Magdalena Daiss sofort alle aktiven Hebammen in Kirchheim durch. Doch die Suche bleibt ergebnislos: Tatsächlich hatte die verzweifelte Schwangere schon alle Adressen abgeklappert. Niedergeschlagen legen beide am Ende des Telefonats auf. 

 

Die Mütter werden mit ihrer Unsicherheit
und ihren Fragen alleine gelassen.
Magdalena Daiss
sorgt sich um Schwangere, die keine Hebamme finden.

Seit Herbst betreut Magdalena Daiss Schwangere in Kirchheim. Nach kürzester Zeit war sie bereits ausgebucht. „Mittlerweile muss ich mehr Frauen absagen, als ich annehmen kann“, schildert sie. Auch ihre Kollegin Heidi Fürst kennt das Problem: „Es gab Zeiten, da konnten Frauen zwischen mehreren Hebammen auswählen, doch heute können sie froh sein, wenn sie überhaupt eine finden“, bedauert sie. 

In ihrer Praxis führen die beiden Hebammen Vorgespräche, helfen den schwangeren Frauen bei Beschwerden und bieten Kurse an. Doch das Herzstück ihrer Arbeit geht für die freiberuflichen Hebammen erst nach der Entbindung los. Dann beginnt die Wochenbettbetreuung: Sobald Mutter und Kind aus der Klinik entlassen werden, kommt die Hebamme zu ihnen ins Haus. Erst täglich, dann mehrmals wöchentlich. Bei den Besuchen schaut sie, ob Mutter und Kind wohlauf sind. Sie unterstützt die Familie beim Stillen und Wickeln und wiegt das neu geborene Baby bei jedem Besuch. Nimmt es nicht zu oder klappt es mit dem Stillen nicht so gut, steht die Hebamme den Familien mit ihrem Wissen bei. Sie kontrolliert, wie sich die Gebärmutter zurückbildet und beobachtet Geburtsverletzungen. Außerdem hilft sie bei der Nabelpflege des Säuglings und weiß auch bei rissiger Haut oder wundem Po Rat. 

„Wenn Frauen in dieser so wichtigen Zeit keine Hebamme haben, besorgt mich das sehr“, sagt Magdalena Daiss. „Was, wenn sich die Gebärmutter nicht richtig zurückbildet? Was, wenn Stillprobleme nicht gelöst werden oder eine Gelbsucht zwischen den Arztbesuchen nicht erkannt wird?“

Hausbesuche erfordern Zeit

Das Problem ist: Es gibt schlicht zu wenig Hebammen, um alle schwangeren Frauen zu betreuen – Kirchheim ist da keine Ausnahme. Zum einen liegt es daran, dass zu wenig junge Menschen den Beruf ergreifen: Wie in der Pflege muss man sich die Frage stellen, wie attraktiv der Beruf ist. Dazu kommt, dass den Hebammen sowohl körperlich als auch mental viel abverlangt wird. „Man erlebt nicht nur die romantisierte Seite der Geburt. Man betreut auch Paare, die ihr Kind verloren haben oder deren Kind im Krankenhaus liegt“, berichtet Magdalena Daiss.

Zum anderen gibt ein Teil der Hebammen den Beruf auch wieder auf. Viele arbeiten aber auch weniger, um ein „normales“ Leben führen zu können, denn der Job greift stark ins Privatleben ein. Die Lücke wird oft nicht geschlossen.

Wer im Beruf bleibt, hat es nicht unbedingt leicht: Vor allem die Pauschalbezahlung ist problematisch. Ein Beispiel: Die Krankenkasse zahlt pauschal für den Wochenbettbesuch und geht dabei von ein Dauer von 20 bis 30 Minuten pro Besuch aus. Doch die Realität sieht anders aus: „Wenn alles gut ist, brauche ich mindestens eine halbe Stunde“, sagt Magdalena Daiss. Mehr als einmal kam es schon vor, dass die Hebamme ganze zwei bis drei Stunden bei der Mutter im Wochenbett blieb. „Das gleicht sich nicht aus. Der Durchschnitt liegt deutlich über den Erwartungen der Krankenkasse“, erklärt die Hebamme und schließt: „Man bleibt trotzdem, kriegt das aber nicht bezahlt.“

„Das Herzblut ist da, aber es sollte sich auch lohnen“, sagt Heidi Fürst und erklärt: „Es wird Hebammen gerade in der Freiberuflichkeit nicht leicht gemacht – und das auf Kosten der schwangeren Frauen, der Gebärenden und der Wöchnerinnen.“ 

Die vielen Absagen hinterlassen die Frauen entmutigt. Viele geben die Suche auch auf. Das zeigt sich auch im Kalender von Magdalena Daiss:  „Diejenigen, die jetzt mit der Suche beginnen, entbinden im Spätsommer. Da bin ich schon voll ausgebucht. Doch bis Mai habe ich noch ein paar freie Plätze. Als die Frauen, die in diesem Zeitraum entbinden, nach einer Hebamme gesucht haben, gab es meine Praxis in Kirchheim noch gar nicht. Ihr Rat ist eindeutig: „Fangt früh an zu suchen, aber gebt bitte nicht auf.“

 

Die Suche muss früh beginnen

Jede Schwangere hat Anspruch auf eine Hebamme. Wer außerhalb des Krankenhauses die Unterstützung dieser Expertinnen und Experten der Geburtshilfe bekommen möchte, sollte so früh wie möglich mit der Suche beginnen. Dabei gilt der positive Schwangerschaftstest als Startschuss.

Ist die Hebamme nur per Mail zu erreichen, ist es nutzlos, den Kontakt per Telefon zu suchen. Darum macht es Sinn, sich zuerst darüber zu informieren, wie die Hebamme erreichbar ist und ob Sprechzeiten angegeben sind. Für diese Recherche eignen sich die Homepages der Hebammen am besten.

Eine breite Suche verspricht bessere Erfolgs­chancen. Dass es zwischen der schwangeren Frau und der Hebamme auch menschlich passt, ist enorm wichtig. Dennoch sollte nicht
nur die „Lieblingshebamme“ angefragt werden, sondern auch weitere Optionen gesucht werden. kd