Am Sinn zweifelt kaum jemand der Verantwortlichen, allenfalls am Zeitpunkt. Dass in den Senioren- und Pflegeheimen im Land Bewohner und Mitarbeiter nicht schon viel früher flächendeckend auf das Coronavirus getestet wurden, hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Jetzt will sich das Sozialministerium ein aktuelles Bild über das Infektionsgeschehen in Heimen machen, da deren Bewohner als besonders gefährdet gelten. Das Land übernimmt erstmals die Kosten für lückenlose Tests. Im Kreis Esslingen sollen in den kommenden Wochen rund 9000 Personen Abstriche bekommen.
Alles gut, könnte man meinen. Doch es gibt auch Widerstand. Im privaten Pflegezentrum in der Kirchheimer Jahnstraße wurden Bewohner und ihre Angehörigen schriftlich aufgefordert, sich dem freiwilligen Test zu verweigern. In einem entsprechenden Rundschreiben der Heimleitung heißt es, man halte die Maßnahme für unbegründet und zweifle zudem die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Proben an. Zur Verdeutlichung wird das Beispiel einer Bewohnerin angeführt, die angeblich unter Zwang so lange getestet worden sei, bis das Ergebnis positiv ausfiel. Wörtlich heißt es: „Sollte ein Test positiv sein, dann müssten Bewohner wieder in 14-tägige Quarantäne. Die Bewohner sind jetzt schon seit sechs Wochen eingesperrt. Hinzu kommt dann noch, dass die ganze Einrichtung auf den Kopf gestellt wird.“
Verfasserin des Rundbriefs, dem ein Widerspruchsformular zur Unterschrift angefügt ist, ist die Geschäftsführerin der beiden Einrichtungen in Nürtingen und Kirchheim, die in der Jahnstraße auch ein Palliativzentrum für sterbenskranke Patienten betreibt. Auf Nachfrage verteidigte Isabell Flaig gestern am Telefon ihr Vorgehen. „Es gibt keinen plausiblen Grund für diese Tests,“ meint die Heimleiterin. „Wir messen jeden Tag Fieber und halten Hygienevorschriften ein. Unseren Bewohnern geht es gut. Bei uns gibt es keine positiven Fälle.“ Davon hat sie inzwischen wohl auch die überwiegende Mehrheit der Bewohner im Haus überzeugt. 69 Personen sind in beiden Einrichtungen in Kirchheim und Nürtingen untergebracht. Nur vier haben ihr zufolge dem Test zugestimmt.
Eine Angehörige, die in der Zeitung nicht namentlich genannt werden will, hat mit Entsetzen auf den Brief reagiert. „Es geht ja nicht nur um die eigene Sicherheit,“ sagt sie. „Es geht auch darum, dass man andere nicht ansteckt. Für sie ist klar: „In einem Altenheim geht eine solche Haltung gar nicht.“ Wenig Verständnis für das Vorgehen zeigt man auch bei der Liga der freien Wohlfahrtspflege, die als politischer Arm der Wohlfahrtsverbände gilt. Deren Kreisvorsitzende Brigitte Chyle von der Caritas hält die Tests ganz klar für sinnvoll. „Es verschafft einen Überblick und gibt Klarheit für den Moment,“ sagt sie. „Das Ergebnis darf allerdings nicht dazu führen, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt.“
Rüge von der Heimaufsicht
Im Esslinger Landratsamt, das neben dem Gesundheitsamt auch die Heimaufsicht führt, wird man da schon deutlicher: Die Zweifel an den Tests seien völlig unbegründet, das Vorgehen in Bezug auf die dem Heim anvertrauten Bewohner nicht besonders verantwortungsvoll, urteilt Behördensprecher Peter Keck. Der Abstrich erfolge zwar erst nach Einwilligung durch die jeweilige Person. „Wichtig ist uns aber, dass die Entscheidung ohne äußeren Einfluss von jeder Person selbst oder dem Betreuer getroffen wird,“ sagt Keck.
Und wie begegnet man dem Boykottaufruf in anderen Kirchheimer Pflegeheimen? Ebenfalls mit Unverständnis: „Für mich ist das nicht nachvollziehbar,“ meint Simon Unrath, Heimleiter in Sankt Hedwig. Bewohner seien mündige Bürger, die man ordentlich in Kenntnis setzen sollte. Was die nötigen Informationen angeht, fühle man sich beim Gesundheitsamt gut aufgehoben. „Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass bei uns irgendjemand nicht will,“ sagt Unrath. Er würde sich mehr Tests in regelmäßigen Abständen wünschen und bemängelt lediglich den Zeitpunkt der jetzt angekündigten Maßnahme. Die erste Besuchsphase nach Öffnung am 18. Mai abzuwarten, hätte er für sinnvoller gehalten. „Dann hätte man einen Indikator, wie sich das Ganze entwickelt.“ Auch in anderen Heimen finden die Tests Fürsprecher. „Die Kapazitäten sind jetzt da, also sollte man sie auch nutzen,“ sagt Marcel Koch, Leiter im Henriettenstift, und seine Kollegin Petra Nastasi im Fickerstift meint: „Die Tests sind generell begrüßenswert, um zu sehen, wie hoch die Dunkelziffer ist.“
Gegendarstellung
In der Zeitung Der Teckbote vom 14.05.2020, im Internet abrufbar seit 13.05.2020, ist ein Artikel abgedruckt, der unrichtige Behauptungen zur Haltung der Heimleitung gegenüber Corona-Massentests in Pflegeheimen enthält, die wir wie folgt richtigstellen.
Unrichtig sind die Behauptungen
– Heimleitung ruft zum Boykott auf und
– im privaten Pflegezentrum in der Kirchheimer Jahnstraße wurden Bewohner und ihre Angehörigen schriftlich aufgefordert, sich dem freiwilligen Test zu verweigern.
Hierzu stellen wir richtig, dass die Heimleitung nicht zum Boykott der vorgesehenen Testungen aufgerufen hat oder dazu aufgefordert hat, sich dem freiwilligen Test zu verweigern.
Richtig ist, dass das Heim die Bewohner über die Freiwilligkeit der geplanten flächendeckenden Testung informiert hat und dadurch den Bewohnern erst die Möglichkeit gegeben hat, sich für oder gegen eine Testung zu erklären.
Die Heimleitung des Pflegezentrums Kirchheim GmbH
Wir sind nach den Vorschriften des Landespressegesetzes Baden-Württemberg verpflichtet, diese Gegendarstellung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt abzudrucken.
Redaktion, Der Teckbote