Das Interimsbüro im Dachgeschoss der Kreissparkassen-Zentrale in Esslingen wirkt akkurat wie immer. Von Umzugsatmosphäre keine Spur. Was an persönlichen Dingen noch da sei, meint Heinz Eininger, passe in seine alte Aktentasche. Die stammt noch aus seiner Zeit als Pressereferent des damaligen Stuttgarter Finanzministers Gerhard Mayer-Vorfelder und sei „schäbiger als die inzwischen berühmte von Olaf Scholz“. Wir treffen einen aufgeräumt wirkenden und gutgelaunten Landrat, der ab 1. Oktober keiner mehr ist. Nach 24 Dienstjahren ist in wenigen Tagen Schluss – Zeit für eine Bilanz.
Herr Eininger, Sie gelten als heimlicher Meister am Herd. Wie sähe denn das ideale Menü zum Ruhestand aus?
Heinz Eininger: Ach je, zurzeit halte ich es eher mit Schmalhans, weil ich wieder besser in Form kommen möchte, um den Landkreis möglichst lange mit meiner Pension zu behelligen (lacht). Ich koche aber nach wie vor sehr gerne und verarbeite bevorzugt das Wildbret, das ich von unserem Forst kaufe. Da hat sich inzwischen einiges an Rezeptvarianten angesammelt.
Wissen Sie denn schon, was Sie am 1. Oktober, einem Dienstag, machen werden?
Eininger: Da habe ich am Mittag einen Termin mit der Wilhelm-Narr-Stiftung (eine Bildungsstiftung, die im Raum Kirchheim Stipendien an besonders begabte Studierende, bevorzugt in naturwissenschaftlichen Fächern, vergibt, Anm. d. Redaktion), die ich am 1. Januar von Otto Roth übernehmen werde. Daran geknüpft sind zwei ehrenamtliche Aufsichtsrat-Mandate in Unternehmen, die die Stiftung speisen. Ich denke, ich kann da aus meiner Zeit als Vorsitzender des Bildungsausschusses des Landkreistags in Baden-Württemberg etwas einbringen. Dazu kommen weitere Ehrenämter und Vortragspflichten bei Tagungen. Für Langeweile ist da erst mal kein Platz. In den nächsten Tagen erwarten wir zudem die Geburt unseres zweiten Enkelkindes. Meine Frau geht Ende November ebenfalls in Ruhestand. Ich habe also noch die Chance, zwei Monate den Chefposten im Hause Eininger zu besetzen, bevor sie aktiv eingreift.
Wenn Sie in 24 Dienstjahren gedanklich zurückblättern, welches Ereignis kommt Ihnen da zuerst in den Sinn?
Am ehesten die Neuordnung der Krankenhauslandschaft, wobei die nicht auf ein Ereignis zurückzuführen ist. Das war eher das Bohren dicker Bretter über lange Zeit. Heute ist sie die Grundlage dafür, dass wir vermutlich als einziger Landkreis in Baden-Württemberg in unseren Kliniken noch schwarze Zahlen schreiben können. Da galt es, Haltung zu zeigen, schließlich kamen Anfeindungen von überall dort, wo Standorte geändert oder gar geschlossen werden sollten.
Das klingt nach später Genugtuung.
Genugtuung ist der falsche Ausdruck. Ich freue mich natürlich darüber. Nehme aber schon für mich in Anspruch, dass ich nicht den einzelnen Standort im Blick hatte, sondern eine moderne Klinikversorgung für den ganzen Landkreis. Wichtig war, dass der Kreistag damals Kurs gehalten hat, gegen alle Widerstände. Wenn ein Sozialminister bei einer Einweihung sagt, der Kreis Esslingen sei die Benchmark für Krankenhaus-Struktur, dann geht mir das, ganz offen gesprochen, runter wie Öl.
Ein Landrat ist kraft Amtes immer auch Krisenmanager. Krisen gab es genügend während Ihrer Amtszeit. In Verbindung mit der Corona-Pandemie versucht die Politik aufzuarbeiten, was falsch lief. Würden Sie heute manche Dinge anders machen?
Dass man diese Zeit aufarbeitet, ist für mich nachvollziehbar, weil man Schlüsse daraus ziehen muss für künftige Pandemien, denn diese wird nicht die letzte gewesen sein. Man muss aber auch sehen: Wir hatten zu dem Zeitpunkt keine Blaupause – für nichts. Wir mussten aus der jeweiligen Situation heraus entscheiden und handeln. Das heißt, vorhandene Fakten nach bestem Wissen und Gewissen zu gewichten. Aus diesem Entscheidungshorizont heraus haben wir richtig gehandelt. Nur ein Beispiel: Wir haben als Landkreis gemeinsam mit Partnern innerhalb nur weniger Tage eine Notklinik in der Messe am Flughafen aus dem Boden gestampft und dem Land angeboten, weil uns die Bilder von Bergamo mit Särgen in Kühlcontainern eingeholt haben. Das vergisst man heute leicht. Dass Fehler gemacht wurden, steht außer Frage. Die müssen aufgearbeitet werden. Leider geht das oft nicht ohne Schuldzuweisungen, was meiner Meinung nach ein Fehler ist.
Auch von der sogenannten Flüchtlingskrise vor zehn Jahren war der Kreis als einer der bevölkerungsreichsten besonders stark betroffen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die derzeitige Debatte über einen Kurswechsel in der Asylpolitik verfolgen?
Dass man unsere Vorschläge von kommunaler Seite in allen Regierungen seit 2014 ignoriert hat. Unser Land hat das Verhältnis zu einer geordneten Migration bis zum heutigen Tag nicht geklärt. Der Hinweis auf eine europäische Lösung allein ist zu wenig. Wie wir dieses Problem in den Griff bekommen, darin wird sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land entscheiden, davon bin ich zutiefst überzeugt. Leider sieht es erst nach den Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen so aus, als ob man nun mehr auf die Handlungsebene kommt.
Auch im Kreistag haben sich bei der Wahl im Juni die politischen Kräfteverhältnisse verschoben, wenn auch nicht im selben Maß wie bei den ostdeutschen Landtagswahlen. Erfordert Kommunalpolitik einen anderen Umgang mit Populisten als in Land und Bund?
Das Erste, was die Kommunalpolitik machen sollte, ist, Versprechungen auf Landes- und Bundesebene mit der Wirklichkeit abzugleichen. Das gilt nicht nur für die Flüchtlingspolitik. Die Menschen merken ganz genau, wenn falsche Versprechen gemacht werden. Da geht es um Wahrhaftigkeit. Sagen, was geht und was nicht geht, und dann danach zu handeln. Im Fußball würde man sagen: Wichtig ist auf dem Platz. Die Landkreise und Kommunen sind Orte der Wirklichkeit. Entscheidend ist, dass man den Menschen reinen Wein einschenkt.
Die „Orte der Wirklichkeit“, wie Sie es nennen, kämpfen seit der Gebietsreform vor 50 Jahren hartnäckiger denn je um Hoheiten und einen gerechten Finanzausgleich. Warum ist die kommunale Selbstverwaltung aus Ihrer Sicht so wichtig?
Weil unser Staat von unten nach oben funktioniert. Was die Kommunen selbst schaffen, soll auf der untersten Ebene erledigt werden. Was die Kommunen alleine nicht schaffen, übernimmt der Landkreis als nächste Ebene. Das nennt man Subsidiaritätsprinzip, das sich meiner Meinung nach bewährt hat. Wir sind der Vorposten, wo Landes- und Bundespolitik umgesetzt werden müssen. Deshalb, betone ich noch einmal, sind wir die Orte der Wirklichkeit. Deshalb haben wir immer einen Anteil am Steuerkuchen reklamiert. Dann bräuchten wir beispielsweise die ewige Diskussion über die Kreisumlage nicht. Ich meine aber, die Landkreise sind zur Erledigung ihrer Aufgaben nach der Verwaltungsreform sehr gut aufgestellt. Was hätte ein Gesundheitsamt früherer Prägung während Corona ausrichten können? Das Gesundheitsamt hatte gerade einmal 30 Mitarbeiter. Heute sind es 70. Wir hatten während der Pandemie zu Spitzenzeiten bis zu 250 Mitarbeiter aus der gesamten Verwaltung eingesetzt.
Als Vorsitzender des Kreistags kann der Landrat nur begrenzt frei entscheiden. Worin besteht die Kunst, eigene Überzeugungen so auszugestalten, dass sie am Ende mehrheitsfähig sind?
Indem man dem Kreistag nicht einen Vorschlag vorlegt, indem schon ein Kompromiss angelegt ist. Man muss dem Kreistag vielmehr das Gefühl vermitteln, dass der Vorschlag der Verwaltung auch aus den Reihen des Kreistags hätte stammen können. Ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen. Was ich in der Verwaltung immer vertreten und vorgegeben habe: Wir haben eine klare Meinung, wir machen daraus einen Beschlussvorschlag und gegebenenfalls sind wir so flexibel, das eine oder andere zu ändern, aber wir vertreten eine klare Linie. Ein wichtiger Punkt bei der Mehrheitsfindung: Alle, die in diesem Kreistag während meiner Amtszeit gesessen sind, waren Demokraten. Das bedeutet, dass man in der Lage ist, unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Ergebnisse auszuhalten und das Gegenüber nicht als Feind, sondern als Mitbewerber zu sehen. Leben und leben lassen – das ist auch in der Politik von Bedeutung und war mir immer wichtig. Was mir ernsthaft Sorge macht, ist der Versuch, mit wechselnden Mehrheiten zum Ziel zu kommen. Denn Verlässlichkeit und Vertrauen stehen in einem sehr engen Zusammenhang.
Die langjährige Kreispartnerschaft mit Givatayim in Israel haben Sie stets als Herzensangelegenheit bezeichnet. Was davon bleibt für Sie?
Beide Regierungen haben ja kurz vor dem Angriff der Hamas am 7. Oktober verabredet, dass es ein deutsch-israelisches Jugendwerk geben soll. Das kann man, wie ich meine, nur von unten her entwickeln. Da wir eine der traditionsreichsten Verbindungen mit Israel haben, würde ich da in der Zukunft gerne mitwirken. Das habe ich dem israelischen Botschafter bestätigt. Mir geht es – vor allem auch vor dem Hintergrund, was sich an Stimmung gerade bei uns im Land abspielt – darum, dass für junge Menschen ein Signal gesetzt wird – gegen Antisemitismus und für Demokratieförderung. Die Gründung eines deutsch-französischen oder eines deutsch-polnischen Jugendwerks waren ja auch Ereignisse, die für die Aussöhnung von elementarer Bedeutung waren.
Der Neubau des Landratsamtes geht zügig voran. Wenn Ende kommenden Jahres alles fertig ist, wird ihr Nachfolger Marcel Musolf das Büro des Landrats beziehen. Ein Haus bauen und nicht einziehen, ist für einen Schwaben eigentlich ein Paradoxon. Für Sie nicht?
Natürlich wäre ich da noch gerne eingezogen. Das wäre auch gegangen, wenn wir mit den Entscheidungsprozessen ein Jahr früher durch gewesen wären. Geduld war noch nie meine größte Stärke. Aber zu guten Entscheidungen gehört ja auch der richtige Zeitpunkt. Ich freue mich, weil das ein tolles Haus wird und künftig auch ein wesentliches Kriterium sein dürfte bei der Entscheidung, in der Kreisverwaltung zu arbeiten.
Wie verabschiedet man sich eigentlich von 2500 Beschäftigten, deren Chef man war?
Nächste Woche gibt es eine Personalversammlung. Das ist ein schwerer Termin für mich. Wir sind bei aller Größe ein sehr gutes Team. Mein Prinzip hieß immer „Management by Walking“, das heißt, ich habe versucht, sichtbar zu sein, auf die Leute zuzugehen. Mich hat immer interessiert, was der Einzelne denkt, wo er steht. Immer im Bewusstsein: Ich kann nur so gut sein wie das Team – von der Putzkraft über den Hausmeister bis zu Dezernenten.