Bis auf den letzten Platz war der Vortragsraum der Volksbank Mittlerer Neckar in Nürtingen gefüllt, und das ist kein Wunder: Jedes dritte Wohngebäude in Deutschland ist unsaniert, jedes zweite teilsaniert. Diese Zahlen hat Vorstandsmitglied Thomas Krießler zum Informationsabend zu einem brandaktuellen Thema mitgebracht: Das „Gebäudeenergiegesetz“ dessen Novelle der Bundestag im Januar verabschiedet hat, erhitzt derzeit vor allem die Gemüter privater Haus- und Wohnungseigentümer. Die Novelle besagt: Mindestens 65 Prozent der Heizenergie sollen künftig aus regenerativen Energien stammen. Doch bevor Panik aufkommt: Es gibt zahlreiche Fristen, Ausnahmen und Fördermöglichkeiten, man muss sie nur kennen.
Deshalb hatte die Bank als Expertin Annika Güresir von der Klimaschutzagentur des Landkreis Esslingen eingeladen. Schon die Existenz dieser Einrichtung dürfte für viele Anwesende eine Neuigkeit gewesen sein, dabei gibt es sie schon seit zwei Jahren und hat mittlerweile zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Annika Güresir zeigt zunächst aktuelle Schlagzeilen in den Medien: Heizungshammer, Notverkauf, Altersarmut, Enteignung, grünes Wunschdenken vernichtet Wohlstand. „Das ist natürlich alles völlig übertrieben“, sagt sie.
Wer nun aber eine Antwort auf die Frage „Wie soll ich künftig mein Haus oder meine Wohnung beheizen?“ erwartet hat, musste Denn die häufigste Antwort der Expertin lautet: „Es hängt davon ab.“ Das ist insofern logisch, dass es je nach Baujahr, Zustand und Größe des Objekts mehr oder weniger Fördergelder, sinnvolle und weniger sinnvolle Umbauten und unterschiedliche Vorschriften gibt. Ein Beispiel: Eine Heizung mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energie ist seit dem 1. Januar 2024 Pflicht für Neubauten in Neubaugebieten, alternativ kann die Wärme auch aus einem Wärmenetz bezogen werden – sofern vorhanden. Für Neubauten in Bestandsgebieten oder Bestandsgebäuden gelten Übergangsfristen von fünf Jahren ab 1. Januar 2028, also theretisch bis 2033. Das gilt wiederum nur für Städte mit weniger als 100 000 Einwohner, wie Esslingen oder Kirchheim.
Derlei Ausnahmen gibt es reichlich und die Schaubilder sind dementsprechend umfangreich. Auch tauchen immer wieder „Warnhinweise“ auf: Die Kosten erneuerbarer Gase wie Biomethan, Bioöl oder grünen oder blauen Wasserstoff ist noch völlig unklar. Klar ist zumindest, Stand: jetzt, dass ab 2040 in keinem Gebäude mehr ein Wärmeträger mit fossilen Energien verbaut werden darf. Es muss auch nicht gleich das große Projekt sein, um etwa die Vorlauftemperatur der Heizung zu senken. „Da kann man mit etwas handwerklichem Geschick auch einiges selber machen“, sagt Annika Güresir: Zum Beispiel könne man selbst die Kellerdecke dämmen.
Die Volksbank hat anschließend auch eigene Experten aus der Abteilung „Rund um die Immobilie“ vorgestellt. Aktuell arbeiten viele Bankhäuser, darunter auch die Volksbank Mittlerer Neckar, an Online-Tools, mit denen Hauseigentümer ihren Sanierungsbedarf und gleich die Fördermöglichkeiten abfragen können.
Auch wenn man Fristen hat, die noch unumstößlich scheinen, wie der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen für Raumwärme ab 2035. Wer weiß, was es in den nächsten zehn Jahren für Änderungen gibt. Stand jetzt ist: Öl-Heizungen dürfen ab 2035 nicht mehr verbaut werden, Gasheizungen ab 2040 nicht mehr. Es sei denn, Wasserstoff könnte Gas ersetzen und der Brenner müsste nur geringfügig angepasst werden. Doch da gibt es noch eine große Unwägbarkeit: Wird bis 2040 überhaupt genügend Wasserstoff zum Heizen zur Verfügung stehen und wenn ja, wie viel wird er überhaupt kosten?
Ganz unscharf wird es dann bei der Berechnung der Amortisationszeiten, wenn man Fenster, Fassade, Dach oder Kellerdecke saniert. Da hängt viel von Energiepreisen, Zustand des Gebäudes und auch dem Nutzungsverhalten der Bewohner ab. Und wenn da durch die Sanierung der Fassade, Fenster, Dach und Kellerdecke mehr als 6300 Euro Ersparnis pro Jahr in Aussicht gestellt werden, kommt der Einwurf eines Zuhörers und erntet Kopfnicken bei anderen Gästen: „Und wenn ich nur 3000 Heizkosten habe? Bekomme ich dann etwas heraus?“ Es ist eben alles beispielhaft, der konkrete Fall kennt 1000 Ausnahmen und Besonderheiten – mindestens. In jedem Fall empfiehlt sich eine individuelle Beratung (siehe Infokasten).
Die Einstiegsberatung ist kostenlos
Beispiele Eine Heizung mit mindestens 65 Prozent Erneuerbarer Energie kann sein: Wärmepumpe, Stromdirektheizung, Solarthermie, Biomasse (z.B. Pelletheizung), Grüner/ blauer Wasserstoff, Wärmepumpen-Hybridheizung oder Solarthermie-Hybridheizung. Bei den Hybridlösungen muss die Wärmepumpe einen vorgeschriebenen Anteil an der Heizlast haben, dann kann sie kombiniert werden mit Gas-oder Öl-Brennwertkessel. Kostenlos ist die Einstiegs- oder Erstberatung in der Klimaschutzagentur vor Ort oder online. Sie verschafft Haus- und Wohnungsbesitzern einen ersten Überblick über Sanierungsmaßnahmen. Termine macht die Verbraucherzentrale unter 0711/66 91 10.
Eine Vor-Ort-Beratung im Wohnobjekt kann zwischen 1700 und 2400 Euro kosten. Die werden aber bis zu 80 Prozent gefördert. Am Ende hält man dann einen Sanierungsfahrplan in der Hand. zap