Sie fliegen früher im Jahr und sind länger unterwegs - und sie sind insgesamt zahlreicher: Die Rede ist von Pollen. Der Klimawandel und die milden Winter, wie wir ihn auch dieses Jahr erlebten, haben Auswirkungen auf den Blütenstaub in der Luft und damit einhergehende allergische Erkrankungen.
Auch heuer ging es besonders früh los: Haselsträucher, die alljährlich die Pollensaison eröffnen, blühten bereits im Januar - dicht gefolgt von der Erle. Mitten im Winter also haben Allergiker mit Heuschnupfen zu kämpfen. Während für sie früher auf die Wintermonate als Pause Verlass war, ist inzwischen nur noch der November „so gut wie pollenfrei“, wie Dr. Albrecht Wiedenmann, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin des Gesundheitsamts, informiert.
Er verweist auf einen Bericht des Robert-Koch-Instituts aus dem vergangenen Jahr: Demnach zeige sich am Beispiel Hasel, dass sich der Beginn der Blüte seit 1951 um etwa einen Monat „verfrüht“ habe. „Auch die Pollenkonzentration nimmt tendenziell zu“, ergänzt Wiedenmann. Blicke man auf die vergangenen Jahre, so zeige sich, dass teilweise sogar schon in der zweiten Dezemberhälfte Hasel- und Erlenpollen unterwegs waren. „Ungewöhnlich ist das mittlerweile nicht mehr“, konstatiert Wiedenmann, wobei er ergänzt: Je nach Standort der Pflanze beginnen manche früher, andere später zu blühen. „Das ist von der einzelnen Pflanze abhängig und von ganz lokalen Witterungsbedingungen.“
Haben die längere Pollensaison und die gestiegene Anzahl an Pollen zur Folge, dass immer mehr Menschen an Heuschnupfen erkranken? „Die Tendenz geht nach oben“, weiß der Facharzt. Auch wer noch nie unter Heuschnupfen gelitten habe, könne im Erwachsenenalter plötzlich eine Allergie entwickeln.
Eine Rolle spielt auch die Luftverschmutzung: CO2 fördere das Pflanzenwachstum, sodass die Pflanze unter Umständen mehr Pollen bildet, informiert Wiedenmann. Stickoxide und Ozon könnten Pollen „fragiler machen“ und deren Oberflächen verändern, sodass sie stärker allergen wirken. „Wenn die Pollen geschädigt werden und zerfallen, werden Allergene verstärkt freigesetzt. Je kleiner sie sind, desto tiefer können sie in die Lunge eindringen.“ Die Folgen sind keineswegs harmlos: Es können allergisches Asthma und Atembeschwerden entstehen..
Auch Dr. Beate Hüttenmoser, Leiterin der Lehr- und Versuchsgärten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, berichtet, dass Allergiker „selbst im Winter kaum noch Ruhe haben“. Der Klimawandel sorge dafür, dass der Winter kürzer und der Herbst länger werde. „Es wird später kalt und früher wieder warm“ - wobei es „Einzelereignisse“ mit kurzen Wintereinbrüchen gebe. Dies habe freilich Auswirkungen auf die Pflanzen und Menschen.
Beate Hüttenmoser hat beobachtet, dass es inzwischen einige Menschen gebe, die sich nur noch wenig im Freien aufhalten – auch, um die Kinder vor Allergien zu schützen. Doch davor warnt sie ausdrücklich: Man müsse die Kinder an die Pollen gewöhnen – gerade, um zu verhindern, dass Allergien entstehen. Dies könne nur gelingen, indem man draußen unterwegs sei. Denn wer sich zu wenig im Freien bewege, habe keine Abwehrkräfte, sodass auch Allergien ein leichteres Spiel haben.
Sie empfiehlt außerdem, dem „großen Problem der Trockenheit“ durch den Klimawandel entgegenzuwirken, indem man Bäume pflanzt und damit die Häuser besser beschattet. Es gebe viele kleinere Bäume, die sich auch für Vorgärten eignen und die nicht in den Listen für Pollenallergien zu finden sind, zum Beispiel die Blutpflaume oder die Zierkirsche. Gebe es in einer Region viele Bäume, entstehe ein Verdunstungseffekt, wodurch es in dieser Gegend mehr regne – „das ist wiederum auch für Allergiker gut, denn der Regen wäscht die Pollen weg“.
Eine Folge des Klimawandels sei auch, dass die Artenvielfalt zunehme, was sich nachteilig auf Allergiker auswirken könne. „Wir sind noch nicht so weit, dass Allergien das ganze Jahr über bestehen, weil neue Pflanzenarten aufgetaucht sind. Aber es entwickelt sich in diese Richtung“, gibt Hüttenmoser zu bedenken. „Die Vielfalt an Pflanzen hat bereits zugenommen – und aus diesem Grund auch die Möglichkeit, dass noch mehr Allergiepflanzen dazukommen.“
Was Allergiker beachten sollten
Durch den fortschreitenden Klimawandel ist zu erwarten, dass die Pollensaison künftig noch früher einsetzt als dies ohnehin schon der Fall ist, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI). Dies betreffe vor allem Hasel- und Erlenpollen. Schon jetzt sei zu beobachten, dass der Flug dieser Pollen aber auch wieder früher endet. Das bestätigt Dr. Albrecht Wiedenmann vom Gesundheitsamt: Hasel- und Erlenpollen seien aktuell wieder auf dem Rückzug. Nun folgen unter anderem Ulme und Pappel.
Der Flug von Gräserpollen hat sich laut RKI in den vergangenen Jahren weniger stark verändert; jedoch ist auch hier ein tendenziell früherer Beginn zu beobachten. Infolge wärmerer Herbstmonate sei auch mit einem verlängerten Flug von Beifuß- und Ambrosiapollen zu rechnen: Dies könnten von Juni bis Ende Oktober/Anfang November unterwegs sein.
Wichtig ist für Allergiker zunächst die Diagnostik in einer Arztpraxis, um mittels eines Tests herauszufinden, auf welche Pollen man allergisch reagiert, sagt Wiedenmann. Er empfiehlt außerdem, sich Informationen darüber einzuholen, wann welche Pollen in der Luft sind. Dies könne zum Beispiel über Apps für das Smartphone oder den Pollenflugkalender der „Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst“ geschehen. Auf diese Infos könne man dann reagieren, indem man Gebiete meidet, in denen mehr Pollen unterwegs sind – oder indem man in Absprache mit einem Arzt die medikamentöse Therapie anpasst. Wiedenmann verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Hyposensibilisierung, bei der die Antigene zunächst in niedriger Dosis oral oder durch Injektion verabreicht werden, um den Körper an diese zu gewöhnen. Dieses Prozedere dauere bis zu drei Jahre und könne für Allergiker eine höhere Unabhängigkeit von Medikamente bedeuten. hei