Leidenschaft
Hier erklingt Elvis auch mal im Orgel-Sound

Fast täglich musiziert der leidenschaftliche Organist Albert Kailer in der Kirchheimer Martinskirche und berührt mit selbstgeschriebenen Orgel-Stücken die Herzen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer.

Albert Kailer aus Riederich kommt fast täglich in die Teckstadt, um an der Orgel in der Martinskirche zu musizieren. Foto: Nick Häusler

Die Kirchheimer Martinskirche zur Mittagszeit: Es ist reger Betrieb. Manche kommen nur kurz rein, gehen direkt wieder raus. Andere verweilen einige Minuten auf den Kirchenbänken und genießen die Atmosphäre. Die mächtige Orgel erfüllt die Kirche von der Empore herab mit ganz besonderen Melodien. Romantisch, ja fast schon schnulzig, klingt das Stück „Perfect“ vom britischen Sänger Ed Sheeran durch das gesamte Kirchenschiff. 

Zuhörer mit Musik fesseln und ein ganz besonderes Gefühl von Frieden vermitteln. Das gelingt Albert Kailer, leidenschaftlicher Organist aus Riederich bei Metzingen, der in der Kirchheimer Martinskirche sein Talent zum Besten gibt. Es sind keine klassischen Orgelstücke, wie sie in Gottesdiensten gespielt werden – nein. Es sind bekannte Melodien, die seit Jahren, sogar Jahrzehnten durch die Köpfe der Menschen schwirren. „Can’t Help Falling In Love“ von Elvis Presley, „Thank You For The Music“ von ABBA oder auch „Ich war noch niemals in New York“ vom Musik-Urgestein Udo Jürgens. Für diese Art von Musik sucht man fertige Orgel-Noten vergeblich. Will man sie spielen, muss man sie selbst schreiben. Eine Mammutaufgabe, die unglaublich viel Engagement erfordert. 

 

Die verkaufen wir eines Tages bei Bares für Rares.

Gudrun Kailer über die Noten ihres Mannes

 

Bis tief in die Nacht

Passende Noten für die Orgel – hört sich einfach an, ist es jedoch keinesfalls. Vier bis sechs Wochen braucht Kailer für ein Arrangement, bis es aufführungsreif ist. Zunächst lässt er die Originalfassung auf seinem Handy ablaufen und stoppt alle zehn Sekunden. „Ich schreibe in der Tonart, in der der Interpret singt, um Emotionen bestmöglich rüberbringen zu können“, erzählt der 68-jährige. Erst kommt die rechte Hand für die Melodie, dann die linke für die Harmonie und abschließend folgen die Pedale für den Bass. Hat ihn die Euphorie einmal gepackt, kommt er vom Schreibtisch gar nicht mehr los: „Ich habe schon von frühmorgens bis tief in die Nacht durchgeschrieben.“ Ist alles fertig notiert, werden die Notenblätter einlaminiert und zu Hause am Klavier geübt. Klappt das, geht es in die Kirche, um mit den insgesamt 68 Registern der Kirchheimer Orgel weiter zu proben.

Wie steht Albert Kailers Ehegattin zu dieser zeitintensiven Freizeitbeschäftigung? „Er darf seinem Hobby nachkommen – das gibt ihm unglaublich viel Aufschwung“, sagt Gudrun Kailer. Sie selbst spielt kein Instrument und bewundert ihren Ehemann dafür umso mehr für sein Talent: „Das ist wie zwei Zeitungen gleichzeitig lesen. Unglaublich, was der Kopf alles denken muss.“ Viel denken und aufmerksam sein musste der Organist auch in seinem Beruf. Der ehemalige Personenschützer war einst für die Sicherheit der deutschen Tennis-Legende Boris Becker zuständig, als dieser noch 17 Jahre jung war.

Europas größte Orgel

Orgeln in Kirchen sind keine Seltenheit – warum also kommt Kailer fast täglich nach Kirchheim, das eine halbe Stunde von seinem Wohnort entfernt liegt? „Es ist eine tolle Orgel, an der ich seit 1999 spiele und mich sehr wohlfühle“, sagt Kailer. Außerdem seien gar nicht alle Gemeinden willig, den Musiker an ihre Orgel zu lassen. Die meisten sind jedoch überaus begeistert und empfangen den Organisten mit Freuden. Ein besonderes Highlight für Kailer: die Passauer Domorgel. „Das war ein äußerst überwältigendes Gefühl.“ Mit 17.900 Pfeifen ist sie die größte Europas. Kirchheim hat hingegen nur geschätzte 5000, was ebenfalls nicht gerade wenig ist. 

Emotionale Begegnungen

An der Konfirmation hat der 15-jährige Albert das erste Mal eine Orgel zu Gehör bekommen. Diese hat ihn „komplett fasziniert“, wie er erzählt. Für Unterricht an der Orgel oder am Klavier reichte es damals finanziell nicht. Erst mit Mitte 20 konnte er die Instrumente professionell erlernen. Auftritte in verschiedenen Kirchen haben nicht lange auf sich warten lassen. Die ersten Versuche mit Popularmusik startete er im Jahr 2008, als er das Stück „One Moment in Time“ von Whitney Houston bearbeitet. Inzwischen umfasst sein Repertoire 40 Werke – es sind viele romantische und emotionale Lieder dabei. Ein Moment ging ihm besonders nahe. In einem Allgäuer Dom hörte ihm eine Gruppe von Patienten zu. „Als ich im Anschluss nach unten ging, hat eine der Frauen so geheult. Sie war krebskrank. Sie hat mich umarmt und mir im Zeichen ihrer Dankbarkeit den persönlichen Schutzengel geschenkt“, erinnert sich der Organist. Auch gehäkelte Herzen oder gebastelte Tiere hat er in anderen Kirchen schon als Präsent mitbekommen.

Durch die Renovierung der Martinskirche ist laut dem Organisten Albert Kailer ein ganz neues Akustikgefühl entstanden. Steht man direkt vor der Orgel, so hat sie nun noch mehr Kraft als zuvor. Foto: Nick Häusler

Oft haben sich Zuhörer in den Souvenirbuden großer Kathedralen nach einer CD von Kailer erkundigt – die hat der leidenschaftliche Musiker jedoch nicht im Angebot. Ähnlich sieht es mit Kopien der selbstgeschriebenen Noten aus, an denen andere Organisten häufig interessiert sind. „Die sind mein Heiligtum. Die sollen’s selber machen“, schmunzelt er. „Eines Tages verkaufen wir sie bei Bares für Rares“, ergänzt Ehefrau Gudrun lachend. 

Die Vorbereitungen laufen

Aktuell hat Albert Kailer mit Augen- und Knieproblemen zu kämpfen. Sobald er wieder ganz fit ist, soll es ein großes Konzert in der Martinskirche geben. Zuletzt war das 2019 der Fall war. Doch vorerst hat Albert Kailer noch eine ganz andere Aufgabe: Er braucht ein neues Stück für einen ganz besonderen Anlass im Juli: Er und seine Frau Gudrun haben ihren 50. Jahrestag, der natürlich entsprechend musikalisch eingeläutet werden muss.