Seit dem 1. September stehen sie fest, gestern hat in Saarbrücken die erste Vorstellungsrunde begonnen: Acht Paare und ein Einzelkandidat bewarben sich um die Nachfolge der zurückgetretenen SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles, nach dem Rückzug der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange und des Bautzener Rathauschefs Alexander Ahrens sind es nun noch sieben Paare. Erstmals seit 1993 soll ein Votum der rund 400 000 Parteimitglieder die neue Parteispitze bestimmen. Auch Tonja Brinks, stellvertretende Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Kirchheim, wird mit abstimmen. Vorab sprach sie über ihre Hoffnungen und wen sie sich an der Parteispitze wünscht.
Sie wählen auf etwas umständliche Art einen neuen Vorstand. Hand aufs Herz, kannten Sie alle Kandidaten?
Tonja Brinks: Nein, ich musste einige googeln. Ich finde die basisdemokratische Mitgliederbeteiligung aber vernünftig. Das Verfahren ist ganz easy: Die Informationen kommen direkt auf den eigenen E-Mail-Account und man konnte sich auch darüber hinaus beteiligen. Wer wollte, konnte online fünf Fragen aussuchen, die den Kandidaten gestellt werden sollen. Das ist bequeme Sofa-Demokratie und eine wirklich leichte Art der Partizipation.
Es gibt acht Paare und einen Einzelkandidaten, also insgesamt 17 Personen. Erst wollte keiner, dann wurden es immer mehr. Ist das nicht wieder typisch für das SPD-Chaos?
Brinks: Ich finde es geil, dass wir so viele Kandidatinnen und Kandidaten haben. Es ist doch ein Wahnsinnsjob, von dem man keinen wirklichen persönlichen Vorteil hat, außer mehr Macht. Aber du kriegst dafür keinen Dank oder Lob. Hut ab vor denjenigen, die sich trauen zu kandidieren.
Wem würden Sie denn persönlich Ihre Stimme geben?
Mein Herz schlägt für Gesine Schwan, die mit Ralf Stegner kandidiert. Ich hab sie ein paar Mal erlebt, sie war ja auch hier in Kirchheim vor den Kommunalwahlen. Eine tolle Frau. Sie ist zwar körperlich klein, füllt aber jeden Raum mit ihrem Charisma, ihrer Lebenserfahrung und Weisheit. Sie wirkt nicht arrogant, sondern charmant und offen. Außerdem bedient sie keine Netzwerke in der SPD, weil sie ja keine Karriere mehr machen muss. Da ist ihr Alter ein Vorteil.
Die Wahl wird ja notwendig, weil Andrea Nahles zurückgetreten ist. Wie haben Sie die ehemalige Vorsitzende an der Basis wahrgenommen?
Sie hatte kaum noch Rückhalt in der Partei. Neben allen Verdiensten, gab es doch auch recht fragwürdige Auftritte, so wenn sie „Pippi Langstrumpf“ singt, sind das Bilder, die im Kopf hängen bleiben. Das tut einem auch an der Basis weh, man will sich ja mit dem Parteichef oder der Chefin identifizieren. Da ist meine Hoffnung, dass Gesine Schwan mehr Souveränität reinbringt.
Der oder die Vorsitzende übernimmt eine SPD, die momentan bei jeder Wahl schwere Verluste einfährt. Warum haben Sie es so schwer, Ihre Wähler zu mobilisieren?
Wir sind sehr kritisch mit uns selbst und gehen nicht automatisch zur Wahl. In der Hinsicht sind CDU- oder Grünen-Wähler sicher leichter zu mobilisieren, selbst wenn sie vielleicht auch nicht immer mit allem in der Partei zufrieden sind.
Der oder die neue Vorsitzende müsste die Partei neu definieren. Wofür sollte die SPD künftig stehen?
Klimaschutz hat auch ein soziales Ausmaß, denn er trifft die nicht so gut Verdienenden stärker. Wohlhabenden fällt es leichter, das Haus zu sanieren oder auf das E-Auto umzusteigen.
Wie kann Klimaschutz sozialer werden?
Energiesparen ist das A und 0. Es geht darum, andere Mittel zu finden, Mobilität nachhaltiger zu machen, dazu gehört sicherlich dazu, auch wenn das für viele zunächst bitter ist, den Preis für Benzin zu erhöhen und öffentliche Verkehrsmittel günstiger zu machen. Der ÖPNV ist momentan einfach zu teuer. Auch müssen die Verbindungen besser werden. Ich brauche von Kirchheim bis zu meiner Arbeitsstelle in Leinfelden-Echterdingen mit den Öffentlichen eine Stunde und 45 Minuten.
Wird das reichen, um die Zukunft der SPD wieder positiver erscheinen zu lassen?
Es gibt einige Anzeichen, dass es besser wird. Es gibt einige, die jetzt eingetreten sind, weil ihnen das Prinzip der Partizipation gefällt. Die Zeit der Partei-Bonzen ist hoffentlich vorbei. Aber es muss wieder Vertrauen geschaffen werden und das geht nicht so schnell. Das geht nur über beständiges Arbeiten, Ehrlichkeit und Authentizität.
Haben Sie Hoffnung, dass auch junge Leute, die von der Politik enttäuscht sind, in die SPD eintreten?
Ich komme selber aus der Friedensbewegung und hätte mir damals nie vorstellen können, in die SPD einzutreten, ich war auch nie bei den Jusos. Über ein Praktikum in der SPD-Landtagsfraktion bin ich dann aber dabei geblieben, weil mich die Themen und die Menschen überzeugt haben. Heute ist es aber so, dass junge Leute eher projektbezogen denken, die Bereitschaft, sich langfristig an eine Organisation zu binden, nimmt ab.