Ruhestand
„Ich bin eher ein politischer Christ“

Eberhard Haußmann gibt nach 19 Jahren die Leitung des Kreisdiakonieverbands ab. Am Donnerstagabend (19. September) ist er in der Kirchheimer Martinskirche von den zuständigen Dekanen und vor mehr als 200 Gästen verabschiedet worden.

Das letzte Mal an seinem Arbeitsplatz: Am Donnerstagabend wurde er in der Martinskirche feierlich verabschiedet. Foto: Tobias Tropper

Herr Haußmann, wir treffen uns heute zum letzten Mal an ihrem Arbeitsplatz. Wie fühlen Sie sich?

Eberhard Haußmann: Das ist ein guter Tag heute, aber sehr emotional. Ich bin wehmütig, aber auch dankbar.

 

Wie sind eigentlich vom Handwerk über die Sozialarbeit zur Diakonie gekommen?

Ich bin kirchlich sozialisiert worden, die Mutter war Kirchengemeinderätin, Kirchenchor, Kinderkirche. Die Verbindung zur Kirche gab es für mich innerlich immer. 

 

Welche Rolle spielt bei Ihnen der Glaube im Privaten und im Beruf?

Ich bin eher ein politischer Christ. Ich bin zwar Kirchgänger zweimal im Monat, aber sonst lebe ich den Glauben relativ frei.

 

Würden Sie zustimmen, dass christliche Werte wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit noch nie so unter Druck gestanden haben wie heute?

Ja, das würde ich schon sagen. Auch das Thema Bekenntnis zum christlichen Glauben ist immer schwieriger geworden, weil die Kirchen sich nicht so weiterentwickelt haben, wie die Menschen es gebraucht hätten, nehmen Sie das Thema Missbrauchsskandal. Die Bindung von Menschen zu größeren Einheiten ist aber generell verloren gegangen, das merken Sie auch an Parteien oder Vereinen. Ich erlebe auch eine Entfremdung unter Kirchgängern, von denen nicht verstanden wird, was die christliche Botschaft ist. 

 

Geht Ihnen das manchmal auch so?

Ich bin ja eher ein Mann der Tat als vom Wort, das hat meinen Alltag geprägt, das macht es dann manchmal leichter. Gleichzeitig sehe ich dann aber auch eine Diskrepanz zwischen dem, was auf der Kanzel gepredigt und was gelebt wird. In den Gesprächen mit der Kirche wird man dann als Diakonie nicht immer willkommen geheißen, weil man zeigt, wo die Probleme liegen.

 

Was gibt Ihnen der Gottesdienst?

Ich mag es, mich eine Stunde im Gottesdienst fremden Gedanken hinzugeben, auch wenn sie mir nicht unbedingt gefallen. Aber dieses Nicht-Gefallen, das braucht man manchmal, um sich ein Bild von der Gesellschaft zu machen, nicht nur die fancy Bilder auf Instagram.

 

Die Meinung der anderen ertragen, hapert es daran in der Gesellschaft?

Ich glaube, seit Corona hat sich da etwas gewandelt, auch bei mir selber. Man ist schneller in einer Hab-Acht-Stellung und sucht den Widerstand. Vor Corona ist man vielleicht entspannter in Themen reingegangen. Da müssen wir wieder entspannter werden als Gesellschaft und dazu könnte die Kirche auch etwas beitragen.

 

Wie könnte das funktionieren?

Die Kirche könnte kritische Themen benennen, aber auch ein Stück Dankbarkeit nach außen tragen. Wir leben in einem Land, da fließt jeden Tag das Wasser, und der Müll wird weggebracht, und wir können immer etwas einkaufen. Viele merken das gar nicht.

 

Viele haben sich gerade in der Corona-Zeit von der Kirche abgewandt, hätte sie ausgleichender sein können?

Ja, da ist was dran. Auch ich war da vielleicht zu wenig ausgleichend an mancher Stelle. Man war irgendwie darauf getrimmt, die Guten sind geimpft, die Nicht-Geimpften sind Verschwörungstheoretiker. Das würde ich heute anders machen, nämlich eher schauen, wie man unterschiedliche Meinungen zusammen kriegt.

 

Davon gibt es aktuell ja mehrere Themen…

Ein Stück weit erinnert das an die Art Hexenjagd gegen Migranten, die stattfindet. Da werden Feindbilder an den Himmel projiziert, die mit der Realität nichts zu tun haben. Auch da muss sich die Kirche hinstellen und sagen, wir stehen für Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Da stand auch ich in meiner Funktion all die Jahre und würde es künftig auch als Mensch und Christ wieder tun.

 

Haben Sie beim Thema Migration viel Gegenwind erfahren?

Mitarbeiter, die in der Geflüchtetenhilfe tätig sind, hören im Bekanntenkreis „muss das jetzt sein“. Das erschreckt mich schon.

 

Man kann angesichts bestimmter Nachrichten, wenn Schutz missbraucht wird, eine gewisse Sorge vielleicht verstehen!?

Was hilft uns denn weiter? Man kann natürlich wie eine bestimmte Partei sagen „Seife, Bett und Brot“ reicht. Aber das bringt doch unsere Gesellschaft nicht weiter. Eine gute Migrationspolitik muss doch den Menschen auch gute Chancen bieten. Da kann ich direkt einen Bogen schlagen. Wenn ich sehe, wie viele am Geld für Einschulung knabbern und anderen essenziellen Dingen. Da haben wir als Diakonie im Kreis im vergangenen Jahr 140.000 Euro Notsorgehilfe zur Verfügung gestellt, für Schulranzen und Erstausstattung. Aber das sind nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch Rentner. Wir haben aber auch die Regel: Keine Auszahlung ohne Beratung für diejenigen, die das in Anspruch nehmen, das ist unser Qualitätsanspruch. Die Anfragen sind in den letzten Jahren gestiegen.

 

Die Diakonie finanziert sich aus Mitteln der Kirchensteuer. Wenn immer weniger diese Steuer zahlen, wer übernimmt diese Aufgaben künftig?

Vieles wird nicht mehr passieren, aber vieles wird dann auch auf die Kommunen zukommen. Wir haben jetzt einen Gesamthaushalt von zehn Millionen Euro, 80 Prozent davon Personalkosten. Ohne Personal kann ich nicht beraten.

 

Wie steht es finanziell um die Diakonie? 

Wir bekommen 1,5 Millionen Kirchensteuer, Energiepreise steigen, aber wir haben nichts zu klagen. Wir wirtschaften ja auch über Aktionen und Projekte, das macht auch Spaß. Seit ich 2005 Verbandspräsident wurde, haben wir immer schwarze Zahlen geschrieben. Ich übergebe einen wohlgeordneten Verband.

 

Sie können ja wahrscheinlich nicht nichts machen. Was ist geplant für den Ruhestand?

(Lacht). Als Kind war es mir ab und zu mal langweilig, das fand ich schrecklich. Rückblickend war das aber immer auch eine an Ideen fruchtbare Zeit. Deshalb werde ich mich bestimmt auch der Langeweile etwas hingeben. Wobei wir in Nürtingen ja neu bauen und das werde ich unterstützen, ebenso arbeite ich aktiv im Nothilfe-Verein in Stuttgart mit. Ich will mich aber gesellschaftlich einbringen, ich spüre immer noch etwas Widerständiges in mir.

 

Was möchten Sie Ihren beiden Nachfolgerinnen mitgeben?

Was mich immer begleitet hat, ist, dass wir als Diakonie auch politisch sind und Themen benennen, die man nicht so gerne hört: Ausgrenzung und Abwertung. Ich würde mir mehr Solidarität wünschen. Vor allem beim Thema Wohnen: Wer eng wohnt, der lebt auch in engen Verhältnissen. Da hoffe ich, dass sich die Kirche da mit Immobilienverkäufen mutig herantraut. Ich finde, dass Kirche sich wieder mehr einbringen muss, auch wenn es unbequem ist. Spannend wird es doch erst, wenn man nicht so nett ist.

 

Wie können wieder mehr Jugendliche in die Kirchen kommen?

Kirche kann Spaß machen und einladend und vor allem erreichbar sein. „Wir sind da, was ist dein Thema, wie können wir dich unterstützen“, das muss vermittelt werden. Gleiches gilt für das Thema Ehrenamt. Das ist extrem wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft und das sollte man aktiv auch den Menschen vermitteln, die zu uns kommen. Sie sollen nicht nur Zuschauer, sondern auch Teilhaber sein. 

 

Die Fragen stellte Thomas Zapp