Kirchheim
„Ich bin ja auch noch nicht so alt“

Gesellschaft Der Grünen-Abgeordnete Andreas Schwarz lädt Jugendliche zur Fragestunde ein. Die Resonanz ist mittelmäßig, die Idee hat trotzdem Zukunft. Von Mona Beyer

Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stuttgarter Landtag und gebürtiger Kirchheimer, setzt Hoffnung in die Jugend. Er, der von Terminen im ganzen Land geplagt ist, ständig zwischen Kirchheim und Stuttgart pendelt und die Verantwortung für eine 47-köpfige Fraktion auf seinen Schultern trägt, kommt in die Kirchheimer Linde, setzt sich auf die große Ledercouch und wartet. Er will mit Jugendlichen aus der Gegend sprechen. Auf Augenhöhe. Und wie er so dasitzt - hinter ihm ein buntes Graffiti, vor ihm ein verwaister Kicker - und sagt: „Ich bin ja auch noch nicht so alt“, glaubt man ihm, dass es klappen könnte. Doch niemand kommt.

Niemand - das stimmt in diesem Fall nicht ganz. „Niemand“ -das sind sechs junge Menschen, etwa Mitte 20, die das Interesse an der Politik mit der Muttermilch aufgesogen zu haben scheinen. Sie sind vorbereitet. Sie sind engagiert. Sie reden nicht das erste Mal über Politik. Und sie kommen alle gemeinsam von dem Projekt „Be Part“ des Mehrgenerationhauses Linde, das sich für mehr Demokratie einsetzt. Wenn man ihnen zuhört, merkt man schnell, dass der Plan des Politikers nicht ganz aufgegangen ist: Er wollte mit einem niedrigschwelligen Angebot auch Menschen in seine Fragestunde locken, die einfach neugierig geworden sind, die auch mal etwas sagen wollen. Wo bleiben die? Andreas Schwarz weiß es nicht. Auf fünfzehn oder zwanzig Leute hatte er gehofft. Kurz bevor es losgeht, guckt er noch mal aus dem Fenster. Dann beginnt die Diskussion.

"Natürlich spielen Themen eine Rolle, die nah an der Lebenswirklichkeit sind"

Es geht um Geld, Ausbildung, Schule, bedingungsloses Grundeinkommen und immer wieder Mobilität. „Natürlich spielen Themen immer eine Rolle, die nah an der Lebenswirklichkeit sind“, sagt Andreas Schwarz. Das sei bei Erwachsenen nicht viel anders. Die Jugend will nicht in ihren Dörfern eingesperrt sein. Wer abends aus Stuttgart nicht mehr heim nach Neuffen kommt, wie es eine Besucherin erzählt, ist genervt. Wer dann noch vom Taschengeld oder Ausbildungsgehalt ein teures Ruftaxi zahlen muss, fragt sich, ob nicht insgesamt etwas schiefläuft. Das sind Probleme, die Erwachsene, vor allem Politiker, häufig nicht mehr betreffen - weil sie mehr Geld verdienen, weil sie nicht auf den ÖPNV angewiesen sind und ein eigenes Auto haben. Gehen sie deshalb manchmal im politischen Tagesgeschäft unter?

Nach der Diskussion fühlt sich Andreas Schwarz jedenfalls geerdet. „Für mich sind solche Veranstaltungen gut, damit ich nicht die Bodenhaftung verliere“, sagt er. Er will den Bezug zur „normalen Welt“ aufrechterhalten, auch wenn sein Alltag damit manchmal wenig zu tun hat.

Was er hat, sind die Erinnerungen an seine eigene Jugend. Wenn es um die „Bempflingen-Falle“ geht beispielsweise - die komplizierte Grenze zwischen den Verkehrsverbünden VVS im Stuttgarter und Naldo im Tübinger Raum. Ein Problem, das die Jahrzehnte überdauert hat, und das der ehemalige Tübinger Student, jetzt da er in der Politik ist, endlich beheben will. 2020 soll Schluss sein mit dem Fahrkartenchaos, verspricht er. Dann soll es einen Baden-Württemberg-Tarif geben, der von jeder Haltestelle zu jeder Haltestelle gilt.

Warum sind so wenige gekommen?

Fragt man Andreas Schwarz nach der geringen Resonanz auf seine Fragestunde - obwohl es offensichtlich genug Diskussionsstoff gibt - ist seine Antwort deutlich: Er sieht vor allem die Politik in der Pflicht, die Jugendlichen wieder mit ins Boot zu holen. Es müsse viel häufiger gefragt werden, was jungen Menschen heute wichtig ist. Die Politiker müssten den ersten Schritt machen, dann sei es an den Jugendlichen, ihre Chance nicht zu verspielen.

Schwarz will seine Fragestunden als lose Reihe in der Region fortsetzen - in der Hoffnung, dass beim nächsten Mal mehr kommen. Wichtig sei, dass man nicht auf den „Einmal-Effekt“ abzielt.

Ein Empfinden für Gerechtigkeit

Was der Politiker nicht erwartet hatte, ist die Weitsicht der jungen Menschen. Das gibt er später zu. „Dieses Empfinden für Gerechtigkeit, das immer wieder aufblitzt, hat mich wirklich überrascht“, sagt er. Vor allem das Bildungssystem muss viel Kritik einstecken. Für das dreigliedrige Schulsystem, das Menschen in Kategorien einteile, haben die Mittzwanziger wenig Verständnis. Eine junge Frau fragt: „Wie soll man im Studium plötzlich innovativ werden, wenn man in der Schule alles nach Plan X lernt?“ Und wenn niemand innovativ ist, wer soll dann neue Lösungen für Mobilität, das Rentenproblem oder die Wohnungsnot finden? Der Kreis schließt sich ziemlich schnell. Die Anregungen des Abends, in Form von bunten Zetteln, steckt Andreas Schwarz am Ende in seine Tasche. Wer weiß, was sich daraus entwickelt.