Kirchheim
„Ich bin ein Weltmeister der Abschweifung“

Lesung Starkoch Vincent Klink stellt in der ausverkauften Kirchheimer Stadthalle sein neuestes Buch „Ein Bauch spaziert durch Venedig“ vor. Von Ulrich Staehle

Endlich ist es gelungen, Vincent Klink nach Kirchheim zu holen, nachdem vor zwei Jahren die Vorstellung von „Ein Bauch spaziert durch Wien“ coronabedingt nicht stattfinden konnte. „Diesen Mann muss man nicht bekannt machen, er ist wohlbekannt“, so kündigte Sibylle Mockler, Leiterin der Buchhandlung Zimmermann, den Gast an. Die vollbesetzte Stadthalle, sensationell für eine Lesung, bewies nachdrücklich den Bekanntheitsgrad des Multitalents Klink, der außer seinem Hauptberuf als Patron der Wielandshöhe in Stuttgart so nebenbei noch als Musiker und Maler tätig ist.

Und natürlich als Schriftsteller: In der Coronapause hat er „Ein Bauch spaziert durch Venedig“ geschrieben, das er nun vorstellte – auf seine Art. Als erstes rühmt er seinen musikalischen Begleiter, seinen italienischen Freund, den Jazzgitarristen Lorenzo Petrocca. Dann erzählt er, dass ihm zuhause seine Flöte heruntergefallen sei und sich verbogen habe. Es sei nicht sicher, ob er auf dem längeren Ersatzinstrument spielen könne. Und überhaupt, der Abend sei nicht geprobt. Er sei als Restaurantbesitzer in Übung mit Improvisieren. Natürlich beweist er in der ersten Musiknummer und in den weiteren Zwischenspielen, dass er es kann, und Petrocca, dass er ein Meister seines Faches ist.

Montaigne und Goethe als Vorbilder

Bei der Vorstellung seines Buches nennt er zwei Besucher Venedigs als Vorbilder: Montaigne und Goethe. Vor allem Montaigne scheint für ihn in Inhalt und Stil richtungsweisend zu sein. Dieser französische Freigeist lebte von 1593 bis 1592, war ein Wegbereiter der Aufklärung und machte den Essay literaturfähig. Ein Essay darf fragmentarisch sein, zeitliche Sprünge und Abschweifungen sind erlaubt. Von diesem Stil ist Klinks Text und noch mehr seine Buchvorstellung geprägt. Der Autor erzählt anekdotisch von seinem Werk, liest kaum vor. Dieser Stil gibt breiten Raum für humoristische Einlagen, die in sattem Schwäbisch besonders beim Publikum ankommen.

Klink hat Venedig von Jugend an besucht. Er wolle die „Stimmung“ dieser Stadt vermitteln, mit den Menschen und ihrer Umgebung. Venedig bietet eine unfassbare Anzahl von Kunstschätzen, die weitgehend bewahrt blieben, vor allem in den Kirchen. Die Bevölkerung besteht aus einem bunten Völkergemisch, seine Kultur ist beeinflusst vom Orient.

Verhunztes Carpaccio

Aus dem unendlichen Angebot seiner Reiseberichte musste der Autor nun auswählen. Ein Giuseppe Cipriani eröffnete 1931 das kleine Lokal „Harry´s Bar“, das kultischen Status errang. Dieser Koch hat ein Gericht erfunden, bestehend aus rohem Rinderfilet, sehr fein geschnitten, mit Olivenöl, Salz, Pfeffer und etwas Spezialmayo. Da ein Museum gerade eine Ausstellung des Venezianers Vittore Carpaccio zeigte, auf dessen Gemälden eine rot-bräunliche Farbe hervorstach, die für ihn aussah wie die Farbe des Rinderfilets, nannte er sein Gericht „Carpaccio“. Klink schimpft, dass der Klassiker heute durch den „Mist“ unnötiger Zutaten verhunzt werde. 

Nun folgt ein Sprung: Goebbels war Gast in diesem Lokal und rief: „Auf den Sieg!“ Cipriani wiederholte „Alla Victoria!“ dachte seinen Teil und schloss das Lokal zeitweilig. Weitere Abschweifung: Harry´s Bar hat hervorragende Kellner. Kellner mit Lebenserfahrung. Gutes Personal kostet Geld. Wenn ein Essen teuer ist, wie in der Wielandshöhe, dann bezahle der Gast weniger das Essen als das Personal und das Ambiente.

Als geschlossenen Abschnitt las der Autor („damit Sie sehen, dass ich auch lesen kann“) die Geschichte des Palazzo Dario vor, auf dem offensichtlich ein Fluch lastet. Er brachte seinen Besitzern bis in die Neuzeit nichts als Tod und Verderben. Venedig hat auch das zu bieten.

Klinks Präsentation hat offensichtlich Appetit auf das Buch gemacht, obwohl von den vierzehn Rezepten im Text nicht die Rede war. Das bewies die lange Schlange am Signiertisch. Auch wenn Klink seine Improvisationskunst ab und zu überstrapazierte und sich manchmal in Abschweifungen verlor, auch Selbstvermarktung betrieb. Man kann einfach nicht verhindern, Sympathie für ihn zu empfinden. Sein Humor, seine Selbstironie („Ich bin ein Weltmeister der Abschweifung“) sein reichhaltiges Wissen, sein eleganter Schreibstil sind überzeugend.