Walter S. ist herzkrank. Er fühlt sich oft schlapp und muss bei geringer Belastung schwer atmen. Seit Jahren verschreibt ihm sein Hausarzt „Valsartan“. Das hilft gut. Doch plötzlich muss Walter S. auf andere Pillen umsteigen: „Dieses Medikament ist leider nicht lieferbar“, eröffnet ihm die Apothekerin.
Szenen wie diese ereignen sich immer häufiger in Kirchheim und Umgebung. Walter S. erhält ein Ersatzpräparat: anderer Name, andere Schachtel, andere Farbe, andere Dosierung. Ist auch die Wirkung anders? - Die Kunden sind verunsichert. Der Apotheker muss immer häufiger Rücksprache mit dem Arzt halten. Wer teurere Mittel ohne Absprache rausgibt, könnte auf den Kosten sitzenbleiben.
Die Gründe für Lieferengpässe liegen meist in Fernost. Dr. Heike Pfäffle-Planck, die die Pinguin Apotheke im Kirchheimer Nanz Center leitet, stellt am Beispiel von Valsartan dar, wie abhängig Deutschland von der Produktion in Asien ist: Als es Probleme beim einzigen Hersteller in China gab, mussten die Patienten auf Ersatzprodukte anderer Hersteller ausweichen. Die jedoch konnten gar nicht im geforderten Maße liefern. „Man muss die Produktion dringend wieder auf mehr Köpfe verteilen und auch wieder mehr Medikamente in Europa herstellen“, lautet die Forderung der Apothekerin und ihrer Kollegen.
Das Problem mangelnder Ausweichmöglichkeiten wird durch die Rabattverträge noch befeuert. Das sind Verträge, die Krankenkassen über einzelne Medikamente abschließen, damit sie preisgünstig den Markt abdecken können. Fällt eine wichtige Arznei aus, sind schlagartig viele Patienten nicht mehr versorgt. Zudem sind die anderen Hersteller nicht darauf eingestellt, eine solch große Lücke zu schließen.
Der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich aus Kirchheim will das Thema jetzt angehen. Er sieht zwei ganz wesentliche Fehler: die Monopolisierung der Produktion und die nahezu komplette Verlagerung der Fabriken nach Fernost. Das gilt für sogenannte Generika, also Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist. Sie stellen den Löwenanteil der Medikamente dar und können billig angeboten werden, da die Forschung entfällt. Richtig Geld verdienen kann man vor allem mit neuen Stoffen. „Bei frisch entwickelten Medikamenten haben wir keine Lieferengpässe“, erläutert Hennrich und sagt, dass hier Deutschland die Nase vorn habe.
Sorgen bereitet ihm jedoch die große Masse der gut eingeführten Arzneimittel. „Wir müssen die Produktion nach Europa zurückholen“, fordert der CDU-Mann und hat auch Ideen zur Umsetzung: „Die Einhaltung von Standards in der Produktion muss festgeschrieben werden.“ Oberstes Ziel seines Positionspapiers ist die Sicherung der Medikamentenversorgung der Bevölkerung. Doch auch die Stärkung der europäischen Industrie und des Mittelstandes ist ihm ein Anliegen.
In der Bundestagssitzung heute wird man einen Schritt weiterkommen, hofft Hennrich, denn er weiß, dass auch Gesundheitsminister Jens Spahn das Thema auf den Nägeln brennt. Eine konkrete Veränderung für die nahe Zukunft soll darin bestehen, dass Apotheker künftig bei einem Engpass ohne Rückfrage auf ein anderes Medikament ausweichen dürfen.
Dass plötzlich so manche Pille knapp wird, kommt weltweit vor. Hennrich weiß von großen Schwierigkeiten in den USA. Das Bestreben nach billiger Produktion in asiatischen Ländern ist nur eine von mehreren Ursachen für Lieferengpässe. Verschärft wird das Problem durch die veränderte Nachfrage nach Medikamenten durch wachsenden Wohlstand und immer mehr ältere Patienten.
In seinem Positionspapier fordert der Gesundheitsexperte auch die Anlage größerer Medikamentenvorräte für die Bevölkerung: „Dadurch schaffen wir entlang der Versorgungskette eine nationale Arzneimittelreserve.“ Manche Einrichtungen wie die Medius-Klinik helfen sich bereits in Eigenregie. Für den einzelnen Apotheker ist das keine Lösung: „Wir haben ein riesiges Warenlager und trotzdem fehlt manchmal was“, erklärt Heike Pfäffle-Planck.
Für den Patienten Walter S. hat sich die Lage entspannt: „Sein“ Valsartan ist wieder auf dem Markt. Allerdings ist er zwischenzeitlich an einem Harnwegsinfekt erkrankt. Der Urologe hat ihm „Furadantin“ verordnet. Leider war dieses Antibiotikum nicht lieferbar.
Heute wird im Bundestag über das „Faire Kassenwettbewerbsgesetz“ diskutiert, das viele Aspekte aus dem Hennrichschen Positionspapier enthält. Ein wichtiges Ziel ist die Sicherung der Versorgung mit Medikamenten und die nachhaltige Vermeidung von Lieferengpässen.