Kirchheim
Im engen Kontakt mit Israel

Schüleraustausch Der Kirchheimer Jannik Mussler berichtet, wie er mit seiner Reisegruppe die Raketenangriffe erlebt hat und welche Gefühle bei der abenteuerlichen Heimreise herrschten. Von Andreas Volz

Wie es ist, einen Luftschutzraum aufzusuchen – davon hat bis vor kurzem nur die Generation derjenigen berichtet, die mittlerweile mindestens 80 Jahre alt sind. Was man sich über viele Jahrzehnte hinweg nicht vorstellen konnte: Seit Anfang
 

Das Zimmer, in dem ich untergebracht war, ist der Luftschutzraum.
Jannik Mussler
wunderte sich, als plötzlich die ganze Familie um sein Bett versammelt war.

des Monats können auch junge Kirchheimer von Luftangriffen erzählen, die sie erlebt haben. Einer von ihnen ist Jannik Mussler. Der 17-Jährige gehörte zur Reisegruppe der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule, die während ihres Schüleraustauschs in Givatayim von Raketeneinschlägen überrascht wurde.

„Es war unser Gegenbesuch“, sagt Jannik Mussler, „im Juli war eine Gruppe der Thelma Yellin High School bei uns in Kirchheim zu Gast, und jetzt waren wir nach Israel geflogen. Es hätte ein schöner Austausch werden sollen. Und das war es auch. Bis zum Samstag, 7. Oktober, in der Frühe.“ Die Gruppe aus Kirchheim war mit einigen ihrer israelischen Gastgeber an jenem Samstag schon sehr früh auf den Beinen: „Wir wollten den Sonnenaufgang auf der Festung Masada erleben. Irgendwann hat aber dieses Donnern angefangen – und da war klar, dass etwas passiert sein musste.“

Alle Austauschschüler hätten auf ihre Handys geschaut, weil sie von ihren Warn-Apps alarmiert worden waren. Trotz aller Dramatik haben die Einheimischen sehr besonnen reagiert: „Die haben versucht, es für uns weniger drastisch darzustellen.“ Dasselbe erzählt Jannik Mussler auch von den Gastfamilien, zu denen die Kirchheimer noch am selben Tag zurückkehrten: „Die haben uns alle immer wieder beruhigt.“

Dabei war schon der Rückweg vom Toten Meer in Richtung Mittelmeer bei Tel Aviv alles andere als einfach: „Gefühlt gab es alle fünf Kilometer eine Polizeikontrolle.“ Überall seien Soldaten unterwegs gewesen, die der Staat Israel nach den Raketenangriffen der Hamas mobilisiert hatte.

Zurück in Givatayim, hat Jannik Mussler nicht mehr viel mitbekommen: „Nach der kurzen Nacht war ich so müde, dass ich mich hingelegt und lange geschlafen habe.“ Als er irgendwann wieder aufgewacht ist, war die gesamte Gastfamilie in seinem Zimmer versammelt: „Da habe ich erst mitgekriegt, dass das Gästezimmer, in dem ich untergebracht war, der Luftschutzraum ist.“ In jeder Wohnung gebe es solche Räume, die eigentlich eher unauffällig sind, aber doch einen verstärkten Schutz bieten. „Bei einer anderen Familie war das beispielsweise der begehbare Kleiderschrank im Schlafzimmer der Eltern.“

Den anschließenden Sonntag, der in Israel eigentlich ein normaler Werktag ist, hat Jannik Mussler bei einem seiner Mitschüler und dessen Gastfamilie verbracht: „Wir haben versucht, uns durch Monopoly abzulenken.“ Die entscheidende Frage für die gesamte Gruppe war, ob, wie und wann es gelingen würde, den Heimflug anzutreten. „In der Nacht von Sonntag auf Montag kam der Anruf unserer Lehrer, dass wir einen Flug bekommen haben. Das Problem war nur: Wir mussten nach Amman in Jordanien.“

Drei Mal wechselte die Gruppe das Fahrzeug. Im ersten Minibus ging es bis zur Grenze am Jordan. Im zweiten Bus ging es über die Grenze, und danach stand ein dritter Minibus bereit, der den restlichen Weg zum Flughafen zurücklegte. Weil es an der Grenze zu gewissen Schwierigkeiten wegen der Visa gekommen war, hat die Gruppe das Flugzeug in Amman erst im letzten Augenblick besteigen können. In diesem Fall hatte sich die Deutsche Botschaft in Amman telefonisch beteiligt, um alle Unklarheiten beseitigen zu können.

Trotz dieser wichtigen Hilfe durch die Botschaft gibt Jannik Mussler die Stimmung seiner Reisegruppe wieder, wenn er sagt: „Erschreckenderweise hat die Bundesregierung überhaupt nichts für uns getan, sich dann aber vorne hingestellt, als klar war, dass wir einen isländischen Flug bekommen. Den hatten aber unsere Lehrer organsiert – genauso wie die Fahrt nach Amman.“
 

„Wir sind auf dem Weg nach Hause“

Auf dieser Fahrt, die nicht ungefährlich war, überwog einerseits das gute Gefühl: „Wir sind auf dem Weg nach Hause.“ Andererseits sei die Gruppe sehr angespannt gewesen: „Bis zur Grenze sind wir ja durch Gebiete gefahren, in denen jederzeit Raketen einschlagen konnten.“ Kurz vor der Grenze habe es klare Ansagen gegeben, durch die beiden Lehrkräfte wie auch durch den Busfahrer: „Benehmen, Zusammenreißen – und kein falsches Wort!“ Nach der Grenze sei dann das beruhigende Gefühl gekommen: „Wir sind raus aus der Gefahrenzone.“
 

Herzlicher Empfang in Stuttgart

Der Flug von Amman nach Reykjavík hatte eine Zwischenlandung in Rom. „Aber das war wohl nur zum Auftanken. Wir sind da gar nicht ausgestiegen.“ Von Island ging es anschließend über Frankfurt nach Stuttgart: „In Stuttgart kam die Durchsage, dass alle aussteigen dürfen, bis auf die Gruppe aus Kirchheim. Das war aber nur deshalb, um uns vor allzu großem Trubel zu schützen.“ Der Empfang in Stuttgart war herzlich. Den Eltern war die Erleichterung anzumerken: „Da gab es auch Tränen.“

Jannik Musslers Fazit: „Wir stehen in einem sehr engen Kontakt – als Gruppe untereinander, aber auch mit unseren Austauschschülern. Ich habe immer noch die Warn-App auf meinem Handy und kriege mit, wenn dort ein Einschlag droht.“ Er denkt unentwegt an die neuen Freunde in Israel und an ihre Familien: „Wir sind froh, dass wir wieder in Deutschland sind. Aber die leben ja weiter dort, in großer Gefahr.“

In Israel selbst hatte er beobachten können, wie die Luftabwehr eine Rakete unschädlich gemacht hat. Er hat auch die Trümmer von zerstörten Gebäuden gesehen. Die Bilder lassen ihn so schnell nicht los: „Israel ist ein wunderbares Land. Ich würde auch gerne wieder einmal hinreisen – aber in nächster Zeit ganz sicher nicht.“ Vorläufig ist auch sein Bedarf an Flugreisen gedeckt: „Wir waren so lange im Flugzeug. Das reicht erst mal.“