Kirchheim
Immobilienmarkt: „Interessenten haben wieder Auswahl“

Finanzen Frank Dierolf, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, erklärt die positive Seite der Zinssteigerungen und sagt, worauf es beim Hauskauf ankommt.  Von Thomas Zapp

Herr Dierolf, wenn man liest, dass die Baufinanzierung tot ist, klingt das dramatisch. Wie deckt sich das mit ihrer Praxis?

Frank Dierolf: Wer jetzt nur Moll-Töne anschlägt, betrachtet die Sache zu einseitig. Schließlich kommen wir von einem Rekordhoch wieder zurück zur Normalität: Nachdem die Immobilienpreise zuvor über einen langen Zeitraum permanent stiegen, hat sich der Nachfrage-Boom in der zweiten Jahreshälfte 2022 abgeschwächt. Von einem teilweise übertriebenen Preisgefüge bewegt sich der Immobilienmarkt wieder auf ein normales Niveau zu. Während man eine Immobilie vorher mit etwas über einem Prozent finanzieren konnte, geht es jetzt Richtung 3,5 bis 4 Prozent. Historisch betrachtet stellt dies immer noch ein moderates Zinsniveau dar. Wir gehen davon aus, dass dies auf absehbare Zeit so bleibt.

 

Wie wirkt sich das konkret auf Ihr Geschäft mit Immobilienfinanzierungen aus?

Dierolf: Bei den privaten Wohnbaufinanzierungen erleben wir seit dem dritten Quartal 2022 einen deutlichen Rückgang. Die Nachfrage lag teilweise bei nur noch 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Inzwischen stehen wir bei den Baufinanzierungen wieder bei etwa 60 bis 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – insofern erholt sich der Markt wieder. In den vergangenen Wochen hat sich die Nachfrage verbessert.

 

Trifft das auf alle Immobilien gleichermaßen zu?

Hier müssen wir unterscheiden zwischen dem Markt für neue Häuser und Wohnungen und dem für gebrauchte Objekte. Beim Verkauf von Gebrauchtimmobilien stellen wir fest, dass aktuell der Rückgang gegenüber dem Vorjahr nur etwa 20 bis 25 Prozent beträgt. Die höchste Nachfrage konzentriert sich auf junge oder top-sanierte Immobilien. Bei Neubauten verzeichnen wir in der Vermarktung aufgrund der hohen Preise eine deutlich schwächere Nachfrage.

 

Welche Abschläge haben Sie bei Bestandsimmobilien im Vergleich zur Hochpreisphase erlebt?

Pauschale Aussagen sind nur sehr schwer zu treffen. Es kommt immer darauf an, in welchem Zustand und in welcher Lage sich ein Objekt befindet. Wie ist die Anbindung an den ÖPNV? Gibt es einen Modernisierungsstau? Eine schlechte Verkehrsanbindung und ein hoher Modernisierungsbedarf führen zu einem Preisabschlag. Der kann im Einzelfall auch jenseits der 10 Prozent liegen. Doch wenn eine Wohnung oder ein Haus gut in Schuss ist, werden auch gebrauchte Immobilien zeitnah zu dem Preis verkauft, mit dem sie angeboten werden.

 

Können Sie der aktuellen Situation auch etwas Positives abgewinnen?

Die gute Nachricht für Interessenten ist: Wir können wieder mehr Objekte anbieten. Aktuell haben wir 150 Immobilien in unserem Bestand; vor einem Jahr waren Häuser und Wohnungen auch bei uns Mangelware. Das heißt, Interessenten, die über genügend Eigenkapital verfügen, sind jetzt eindeutig im Vorteil. Sie haben die besten Chancen, ihre Traumimmobilie zu erwerben. Wir kommen also in eine Situation wie vor der Niedrigzinsphase – damals war es völlig normal, mit angespartem Eigenkapital eine Immobilie zu kaufen.

 

Was gilt denn als Faustregel für eine Immobilienfinanzierung?

Wir empfehlen, 20 Prozent oder mehr Eigenkapital in die Finanzierung einzubringen. Idealerweise sollte der Darlehensnehmer zwei Prozent pro Jahr tilgen können. Mit jährlichen Sondertilgungen kann man Darlehen zügiger zurückzahlen. Aktuell ist es außerdem sinnvoll, auch Bausparen in die Finanzierung einzubinden, um sich langfristig die niedrigen Zinsen zu sichern. Das ist insbesondere für junge Leute interessant, die perspektivisch eine Immobilie erwerben möchten und zu diesem Zweck Eigenkapital ansparen wollen. So handeln übrigens immer mehr Menschen – derzeit erleben wir eine regelrechte Bauspar-Renaissance.

 

Erleben Sie in Ihrer Kundschaft häufiger ein böses Erwachen, wenn Zinsen für das Darlehen in der Anschlussfinanzierung steigen?

Als Kreissparkasse standen wir schon während der Niedrigzinsphase unseren Kunden beratend zur Seite – und das werden wir natürlich auch künftig tun. Eine professionelle Baufinanzierung sollte die langfristige und nachhaltige Finanzierbarkeit in den Fokus stellen. Deshalb spielen wir schon zu Beginn einer möglichen Darlehensfinanzierung im persönlichen Gespräch mit unseren Kunden verschiedene Szenarien durch: Was passiert, wenn sich die Zinssituation ändert? Wie sieht die persönliche Lebensplanung aus? Erwartet der Kunde eventuell eine Schenkung? Für sämtliche Finanzierungsfragen suchen wir nach passenden Lösungen. Deshalb müssen sich unsere Kunden keine Sorgen machen.

 

Ein Blick in die nahe Zukunft: Wie wird sich der Immobilienmarkt entwickeln?

Eine Einschätzung ist aus mehreren Gründen ist sehr schwierig. Aktuell ist erkennbar, dass die Neubautätigkeit nachlässt und teilweise Grundstücke von Bauträgern, die mit einem hohen Anteil von Fremdkapital arbeiten, zurückgegeben werden. Diese Entwicklung wird das Immobilienangebot in Zukunft reduzieren. Der Bedarf an Wohnraum bleibt jedoch weiterhin hoch. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Mietpreise aufgrund des fehlenden Angebots in den Ballungsräumen entsprechend anziehen.

 

Das ist schlecht für junge Familien…

Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig mit dem Thema Immobilienerwerb zu beschäftigen und sich beraten zu lassen. Es geht um die Frage, wie ich frühzeitig Kapital ansparen kann, um mir in der Zukunft meinen Wohntraum erfüllen zu können. Perspektivisch braucht unsere Gesellschaft gerade in den Ballungsräumen mehr Wohnraum – zum Beispiel für junge Familien oder die dringend benötigten Fachkräfte. Schon deshalb ist die Wohnraumfrage ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema.