Kirchheim
Impfen: Ärzte brauchen mehr Stoff und Zeit

Corona Seit einer starken Woche impfen Hausärzte rund um die Teck ihre Patienten gegen Covid-19. Doch so einfach lässt sich das Virus nicht überrunden. Von Antje Dörr

Es ist ein mächtiger Feind, dem Dr. Wolf-Peter Miehe und seine Hausarztkollegen im Altkreis Nürtingen seit über einem Jahr Tag für Tag gegenüberstehen. Seit etwas mehr als einer Woche sind nun endlich auch sie im Besitz der Waffe gegen das Coronavirus. Doch das Virus, und insbesondere die britische Variante, hält die Mediziner weiter auf Trab.

 

Was wir bräuchten, um mehr impfen zu können, sind weniger Covid-Patienten.
Dr. Wolf-Peter Miehe
Hausarzt in einer Corona-Schwerpunktpraxis

 

„Ich freue mich, dass wir endlich impfen dürfen, aber neben dem Normalbetrieb und vor allem mit sehr vielen Covid-Patienten ist das eine weitere Belastung“, sagt Miehe, der in Weilheim eine Corona-Schwerpunktpraxis betreibt und Sprachrohr der Ärzteschaft im Altkreis Nürtingen ist. Die Patienten, die sich mit der Mutation infizierten, seien deutlich länger krank, müssten teilweise vier oder fünf Mal in die Praxis kommen. „Was wir bräuchten, um mehr impfen zu können, sind weniger Covid-Patienten“, sagt Miehe, der über „keinerlei Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie“ klagt.

Natürlich haben auch die Praxen rund um die Teck in der ersten und zweiten Woche zu wenig Impfstoff erhalten. Die Zahl der Kandidaten überstieg die Zahl der gelieferten Dosen bei Weitem. Auch in der kommenden Woche soll weniger geliefert werden als bestellt worden ist. Dennoch ist Wolf-Peter Miehe mit dem Impfstart in den Hausarztpraxen nicht unzufrieden. „Wir haben in der letzten Woche bundesweit genauso viel geimpft wie in den Impfzentren“, sagt er. Die über 80-jährigen Patienten seiner Praxis seien weitestgehend immunisiert. „In der letzten Woche haben wir unsere Kränksten der Kranken versorgt, beispielsweise Menschen mit Organtransplantationen. Diese Woche haben wir vor allem bei den Lungenkranken weitergemacht.“ Ab dem 26. April soll laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung deutlich mehr Impfstoff lieferbar sein (siehe Info).

Telefon steht nicht still

Ein großes Problem für die Hausärzte und vor allem für das medizinische Fachpersonal ist das Dauerklingeln des Telefons. Die Möglichkeit, auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht zu hinterlassen oder eine Mail zu schreiben, dass man impfwillig ist, nutze kaum ein Patient, so Miehe. Dabei wäre das für die Praxen der viel zeitsparendere Weg. „Eigentlich wollen alle mit einer Fachangestellten verbunden werden.“ Das koste aber natürlich Zeit – und Nerven. „Unsere Praxisteams arbeiten seit 14 Monaten an der Belastungsgrenze und sollten nicht Ansprechpartner für berechtigte Kritik an der Pandemiehandhabung sein“, sagt Miehe. Eine spontane Terminzusage erhält man am Telefon ohnehin nicht. „Wir bestellen die Patienten ein“, sagt Wolf-Peter Miehe. Einen Impfstoff aussuchen kann man sich bei ihm ebenfalls nicht. „Wir schauen nach Indikation und Alter, versuchen aber, den Patienten so weit wie möglich entgegenzukommen“, sagt er. Patienten unter 60 erhalten keinen Impfstoff von Astrazeneca, selbst wenn sie es wollen. „Zur Mutprobe würde ich im Moment nicht unbedingt raten.“ Wer zu schweren allergischen Reaktionen neigt, wird hingegen nicht mit dem Präparat von Biontech geimpft. 

Ab kommender Woche kann auch in den Hausarztpraxen die Altersgruppe der über 60-Jährigen geimpft werden. „Erst die Kranken, dann die Kerngesunden“, sagt Miehe. Wer sich meldet, wird zurückgerufen. Und weiterhin gilt: Melden gerne auf nervenschonende Art und Weise. Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter oder eine Mail sind ausreichend und tragen dazu bei, dass der Praxisbetrieb nicht ins Stocken gerät.

„400 Dosen pro Woche schaffen wir nicht“

Deutlich mehr Impfstoff sollen die Hausarztpraxen laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung ab dem 26. April erhalten. „Uns wurde mitgeteilt, dass wir maximal 30 Fläschchen Biontech und 50 Fläschchen Astrazeneca pro Woche bestellen können“, so Dr. Wolf-Peter Miehe, Sprecher der Ärzteschaft im Altkreis Nürtingen. Daraus gewännen die Praxen 400 Dosen Impfstoff. „Das kriegen wir zeitlich nicht unter“, sagt der Betreiber der Corona-Schwerpunktpraxis in Weilheim, ohne dieselbe Aussage für seine Kollegen treffen zu wollen. Je nach Praxisstruktur könne das unterschiedlich sein.

Die Impfzentren müssen laut Miehe deshalb unbedingt geöffnet bleiben. „Ich verstehe nicht, dass die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg eine Petition gestartet hat, um die Impfzentren zu schließen“, sagt der Hausarzt. „Ich bin der Meinung, dass man alle Ressourcen, die man mobilisieren kann, mobilisieren sollte“. Dazu gehöre auch das Impfen in Hallen. „Es ist sicherlich sinnvoll, wenn große Räumlichkeiten angeboten werden, weil wir Platz brauchen, um die Nachüberwachung zu machen“, so Miehe. adö

Zoff um den Stoff
Kommentar zu den Corona-Impfungen in Praxen

Plötzlich ging es voran mit den ersehnten Impfungen: Die ersten Arztpraxen, die den vielleicht lebensrettenden Piks setzen durften, bescherten der Impfquote einen gehörigen Schub. Euphorie machte sich breit, das Stimmungsbarometer kletterte auf lang nicht erreichte Höhen.

Natürlich haben bis dato auch die Impfzentren schon wertvolle Arbeit geleistet, und sie tun dies weiterhin. Doch viele Menschen, die dem anonymen Zentrum die Betreuung beim langjährigen Hausarzt vorziehen, haben erst jetzt wieder richtig Mut gefasst. Die Ärzte ihrerseits nahmen ihre Aufgabe im Rahmen der Corona-Bekämpfung bereitwillig an. Zusätzlich zu den ohnehin vergebenen Terminen schoben und schieben sie Impfschichten ein, teils an freien Nachmittagen, denn selbst 20 Impflinge pro Tag samt Aufklärung meistert keiner nebenher. Die Praxen wurden zu Tankstellen der Zuversicht.

Doch das ist schnell gekippt. Überall ist der begehrte Impfstoff knapp. Dass auch die niedergelassenen Mediziner derzeit nur begrenzte Kontingente geliefert bekommen, hat sich rumgeprochen. Doch beim vertrauten Hausarzt kennen Impfdrängler keine Tabus und scheuen sich auch nicht, die Medizinische Fachangestellte an der Theke rüde anzuschnauzen. Auch viele mobile Patienten, für die der Weg übers Impfzentrum absolut zumutbar wäre, bestehen plötzlich darauf, vor Ort in „ihrer“ Praxis geimpft zu werden. Und schließlich sind da noch die ewigen Diskussionen um das Für und Wider einzelner Impfstoffe. Während in den Zentren einfach verimpft wird, was da ist, sind in den Praxen Wortgefechte über individuelle Wünsche an der Tagesordnung. An die Impfpriorisierung müssen sich auch die Hausärzte halten. Doch davon wollen Menschen, die vehement auf vermeintliche persönliche Rechte pochen, nichts wissen.

In den Praxen herrscht Zoff um den Stoff. Leidtragende sind vor allem diejenigen, die sich mit echten akuten Leiden in die Warteschlange einreihen müssen und auf Hilfe angewiesen sind. Irene Strifler