Kirchheim
Impfen und Beatmen im Wettlauf mit der Zeit

Corona In den Kliniken im Kreis ist die Lage unter Kontrolle. Nur ein Fünftel der Patienten auf den Intensivstationen sind an Covid erkrankt. Doch der Friede ist brüchig. Von Bernd Köble

Am Anfang steht die Sorge um ihren Mann. Der hatte sich bei einem Geschäftstreffen mit Corona infiziert und den Erreger zunächst ohne es zu wissen nach Hause geschleppt. Dem Positivtest folgen Gliederschmerzen und Mattigkeit. Wenige Tage später stellen sich auch bei Renate S. (Name geändert) die ersten Symptome ein. Während es ihrem Mann wieder besser geht, kämpft sie mit hartnäckigem Fieber. Kopfschmerzen, Schwäche und starker Husten verschlimmern sich. Sie verbringt Tage im Dämmerschlaf, bis sie auf Rat des Hausarztes in die Kirchheimer Mediusklinik überwiesen wird. Dort landet Renate S. auf der Intensivstation. Die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut weist alarmierende Werte auf. Der rechte Lungenflügel arbeitet nicht mehr richtig. Sie wird künstlich beatmet. Ihr Zustand ist tagelang kritisch.

Renate S. ist 59 Jahre alt, sportlich aktiv, ohne Vorerkrankungen, bis dahin kerngesund. Kein Einzelfall. Im selben Maß wie die Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, für die inzwischen geimpfte Hochrisikogruppe sinkt, sinkt auch das Alter der Patienten, die zum Teil schwerer und länger an Virus-Mutationen erkranken. Es ist ein Drahtseilakt, den die Kliniken im Landkreis anders als vielerorts zur Stunde noch meistern. Die Intensivstationen sind voll, aber nur etwa 20 Prozent der verfügbaren Plätze sind im Moment mit Covid-Patienten belegt, wie Jan Schnack, der Sprecher der Mediuskliniken in Kirchheim, Nürtingen und Ruit, bestätigt. Im Klinikum Esslingen sieht die Lage ähnlich aus.

Was hilft, ist Flexibilität. Reagieren zu können, wenn sich das Ganze zuspitzen sollte. Indem planmäßige Operationen verschoben, Kapazitäten gebündelt werden. Seit sechs bis acht Wochen sei die Lage ziemlich stabil, sagt Schnack. „Was in den kommenden sein wird, wissen wir nicht.“ Es ist ein brüchiger Friede. Etwa 30 Covid-Patienten liegen auf den Isolier- und Intensivstationen der drei Mediuskliniken. „Eine einzige Schule oder Kita, ein Unternehmen, in dem sich das Virus unkontrolliert verbreitet, und die Lage ist eine ganz andere“, sagt der Kliniksprecher. „20 Beatmete mehr und die Sache entgleist.“ Was zur Beruhigung beiträgt, ist die inzwischen hohe Impfquote in der Belegschaft. Mehr als 80 Prozent der medizinischen Kräfte und des Pflegepersonals sind inzwischen geimpft. „Jeder, der wollte, konnte das Angebot wahrnehmen“, betont Jan Schnack. Das schafft Sicherheit, auch für Patienten, denn deren Zurückhaltung kann schlimmstenfalls lebensbedrohlich sein. Noch immer verzeichnen die Krankenhäuser deutlich weniger Patienten mit Herzinfarkt oder Schlaganfall. Wer neurologische Ausfälle oder Schmerzen in der Brust registriert, geht häufig nicht sofort zum Arzt, aus Furcht, sich anzustecken. „Wir haben ein strenges Hygienekonzept und eine weitgehend durchgeimpfte Belegschaft“, versucht Schnack, diese Angst zu nehmen. Sein Appell an Erkrankte: bei Verdachtssymptomen sofort Klinik oder Facharzt aufsuchen. Oft zählt in solchen Fällen jede Minute.

Renate S. geht es inzwischen besser. Nach drei Wochen Klinik ist sie vergangene Woche entlassen worden. Ihre Lungenfunktion ist weiterhin eingeschränkt. Ob sie mit ihrem Mann jemals wieder aufs Rad steigen, mit den Enkeln wird Skifahren können, kann ihr kein Arzt sagen. Eine Antwort kann nur die Zeit liefern.